www.christoph-stender.de

Aufgerichtet ohne Worte. Die ersten 25 Schritte in den Aachener Dom.

Impulsvortrag in der Ausbildung von Domführern am Dom zu Aachen, 2012

Schritte auf dem Domhof

Bevor sie den Dom betreten möchte ich Sie einladen, in Gedanken erst einmal einen Anlauf zu nehmen. Für die Wahrnehmung des Domes ist abträglich, wenn Sie so  einfach nur „hineinfallen“, oder hineingeschoben werden.

Der Innenhof, auch Atrium oder Paradies genannt, war dem offenen Westwerk der Marienkapelle (heutige Eingangsbereich des Domes) vorgelagert. Die schmalen Häuser, die heute den Domhof  begrenzen, stehen noch auf den Fundamenten des karolingischen Säulengangs, die mit Nischengewölben umschlossen waren und den 36 × 16 m großen Vorhofes um 800 bildeten.

Gehen Sie doch einfach mal in die Mitte des Domshofs. Zur Zeit Karls des Großen hat in der Mitte dieses Hofes ein Springbrunnen gestanden, der nicht nur Ausdruck von Lebensqualität war, sondern auch an die Quelle des Paradiesgartens erinnerte.

Richten Sie Ihren Blick nun auf den Eingangsbereich des Domes,  das Westwerk, in dem sich die große zweiflüglige Bronzetüre (um 800 in Aachen gegossen) befindet, von der jeder Flügel einzeln 2,5 Tonnen wiegt.

Übrigens: Nach der Dombausage befindet sich im rechten Löwenkopf der „Teufelsdaumen“. Doch die Realität ist unromantischer, denn es handelt sich hier lediglich um eine bronzene Stütze für einen heute nicht mehr auffindbaren bronzenen Türring.

Umgeben ist das Tor von einem Eingangsbereich, der in gräulich wirkenden Blaustein gearbeitet ist, und von dem aus rechts und links Holztüren in den Dom hinein führen.

Ich möchte Sie bitten Ihre Fantasie etwas spielen zu lassen, und diese Eingangskonstruktion aus Blaustein (Barock von 1788) sich einfach mal wegzudenken.

Diesen Eingangsbereich weggedacht, schauen Sie vom Innenhof des Domes in ein großes Tonnengewölbe (Konche), an deren Ende in einem gewaltigen Türsturz ursprünglich die zweiflüglige Bronzetüre eingelassen war, die Sie jetzt quasi vor der Nase haben.

Um ein wenig diesen Eindruck der Ursprünglichkeit des Eingangsbereiches zu empfinden, gehen Sie nun in den Dom hinein und bleiben unmittelbar an der Rückseite der Bronzetüre stehen, vor der normalerweise ein grüner Vorhang hängt.

Schritte im Tonnengewölbe

Nun stehen sie am Beginn des weiß getünchten Tonnengewölbes  und blicken an deren Ende durch den gewaltigen ursprünglichen Türsturz in den Dom.

Bevor sie aber nun in den Dom hineingehen möchte ich Sie einladen, sich noch den Augenblick zu gönnen, die beiden letzten Eindrücke miteinander zu verbinden. Den Eindruck den Sie jetzt gewonnen haben vom Tonnengewölbe verbinden mit dem Eindruck den sie im Domhof gewonnen haben, als sie in ihrer Fantasie sich den jetzigen Eingangsbereich weggedacht haben.

Nun können Sie Ihrer Fantasie bemühend den Blick rekonstruiert, den man ursprünglich also um 800 gehabt hatte, wenn man über den Domhof  kommend direkt durch das Tonnengewölbe hindurch bei geöffneter Bronzetüre das Sechzehneck des Domes betreten hatte.

Sie können sich so etwas besser vorstellen wie ursprünglich sehr viel mehr einladend der Dom im Eingangsbereich konzipiert war.

Der luftige Vorhof mit seinem sprudelnden Springbrunnen „erzählt“ schon von weitem von einer neuen Lebensqualität. Wer ihn dann einfach nur betritt, wird von dem offenen hellen Tonnengewölbe in das Innere des Domes “hineingezogen“ und dem sich dann, das Bronzetor geöffnet, ein wunderbarer Raum erschließt.

 Wenn Sie jetzt durch das Tonnengewölbe gehen, lassen Sie den Pinienzapfen links (um 1000) und die Wölfin die eigentlich eine Bärin ist (antiker Bronzeguss zwischen 3. Jh.  v. Chr. und 2.Jh. nach Chr.) rechts liegen.

Fühlen Sie sich begrüßt von der kleinen Skulptur “Mutter Gottes mit Kind“ (vor 1400), die in einer gotischen Nische (ausgestaltet mit angeblich mittelalterlichen Resten des Kuppelmosaik) links oben in der Portalwand  „residiert“.

Schritte in das Oktogon

Auf dem Türsturz ist eine lateinische Inschrift eingemeißelt, eine Einladung die übersetzt bedeutet: „Gedenke, dass Du das Heiligtum Mariens in Ehrfurcht betrittst“.

Betreten Sie nun durch den ursprünglichen Eingangstürsturz das Sechzehneck des Domes und gehen Sie noch wenige Schritte weiter in das Zentrum dieses Gotteshauses, dass Oktogon.

Hier wird mit Ihnen passieren was jedem Besucher Domes passiert:

Nochmals mit Anlauf: Eingeladen vom Atrium, durch das Tonnengewölbe angezogen, den Großen Torbogen durchschreitend, mit wenigen Schritten durch das Sechzehneck auf das Oktogon zu, zieht die Höhe des Zentralbaus (31,40 m)  ihre Blicke nach oben.

Durch Ihr unwillkürliches Hinaufschauen werden Sie im wahrsten Sinne des Wortes körperlich aufgerichtet. Das Hinaufschauen richtet Ihr Rückgrat auf, lässt Sie ein wenig größer werden.

Bevor auch nur ein Wort durch kundige Führung oder wen auch immer über den Dom gesagt worden ist, hält die Architektur des Domes eine Botschaft bereit. Für jeden der sein Zentrum betritt lautet diese Botschaft gleich: Mensch sei aufgerichtet, hier bist du willkommen so wie du bist, nichts brauchst du zu leisten und keine Legitimation vorzuweisen.

Sei aufgerichtet Mensch, dass du da bist ist ein Geschenk, und hier berühren sich Himmel und Erde.

 

Dieser Beitrag wurde in Vorträge veröffentlicht und getaggt , , . Ein Lesezeichen auf das Permalink. setzen. Kommentieren oder einen Trackback hinterlassen: Trackback-URL.

Einen Kommentar hinterlassen

Ihre E-Mail wird niemals veröffentlicht oder weitergegeben. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Sie können diese HTML-Tags und -Attribute verwenden <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>

*
*

© Christoph Stender | Webdesign: XIQIT GmbH
Impressum

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen