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Kreuzdiagnosen

Foto: © Michael Lejeune

Handwerklich gekonnt durchgeführt

Da, das Kreuz! Interpretationsrahmen ist hier gleich null: Jesus hängt am Kreuz. Nüchtern betrachtet, einfach „nur“ gekreuzigt. Die Soldaten der Mächtigen haben ihren Job gemacht und Jesus den Verurteilten geschleift, angenagelt, aufgerichtet und ausbluten lassen. Ergebnis: Tod. Handwerklich gekonnt und zielführend durchgeführt, Werkzeuge einer Weltmacht eben.
Geht man von einer durchschnittlichen Sensationslust der Menschen damals aus, so wird die Kreuzigung nur wenige Schaulustige angezogen haben, wenn überhaupt, denn dieses Ritual war fast alltäglich.

Proteste sind nicht belegt

Unter dem Kreuz wurde es Nacht, da gab es keinen Protest wie diesen: „Steig herab, verdammt steig herab, du lässt dich doch nicht wegnageln, ich bin deine Mutter, siehe dein Lieblingsjünger, du hast dich ausgestreckt, weiter geht es nicht.“ Oder diesen: „Ja, der eine Schächer hat recht, vielleicht hat er nicht die richtigen Worte gewählt, war emotional und eigensüchtig übersteigert, aber zu recht fordert er: ,Komm runter, sei Gott.‘“ Unter dem Kreuz wurde es Nacht, da gab es auch diesen Protest nicht: „Steig herab, mach was, steig herab, hier will keiner mit Gott streiten oder an ihm zweifeln. Aber du warst es doch, der von ihm erzählt hat, das er Liebe sei, hast du gesagt! Du hast den Mund für ihn aufgemacht, nie den Mund zu voll genommen, hofften wir, doch jetzt sag ein Wort machtvoll und ergib dich nicht der menschlichen Brutalität. Jeder, der dir bis hierher gefolgt ist, versteht, wenn du jetzt mächtig wirst. Steig herab.“

Die Proteste blieben aus, Jesus blieb hängen, theoretisch im Lauf von Tagen durch lokale Witterungsbedingungen vom Kreuz weg verdaut.

Das Protokoll aus der Ferne

Die ereignisnahe und allgemeine Geschichtsschreibung ist mäßig bis gar nicht an dieser Kreuzigung interessiert. Die historisch anmutenden biblischen Protokollanten zu diesem Vorfall notierten:
„Jesus aber schrie wieder mit lauter Stimme und gab den Geist auf.“ (Mt 27,50)
„Jesus aber schrie laut auf. Dann hauchte er den Geist aus.“ (Mk 15,37)
„Jesus rief laut: Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist. Nach diesen Worten hauchte er den Geist aus.“ (Lk 23,46)
„Und er neigte das Haupt und gab seinen Geist auf.“ (Joh 19,30b)

Die Rezeptionsgeschichte dieses Ereignisses lässt durchblicken: Jesus wurde machtpolitischen Intentionen dienend weggehängt.

Kollateralschäden passieren

Infolge der Kreuzigung gab es versehentliche Verluste, auch Kollateralschäden genannt: Maria, die Mutter Jesu, verlor ihr (so vermutet) einziges Kind. Josef, damals allgemein als Vater Jesu angesehen, steht nicht unterm Kreuz, theologisch im Nachhinein gedeutet, was soll er da auch, war ja schon an der Krippe eher abwesend. Dann waren da vielleicht Maria von Magdala, Maria: die Mutter von Jakobus und Josef, Maria: die Frau des Klopas und vielleicht auch noch andere Betroffene. Genauer lässt sich die Anwesenheitsliste unter dem Kreuz nicht recherchieren. Allerdings verbindet die wenigen, die nicht dienstlich da waren, einen Verlust erlitten zu haben, ihnen ist allen gemeinsam ein Tod widerfahren. Gestorben ist Kommunikation, Beziehung, Zukunft und Nähe.

In Kreuzesnähe nicht zu vergessen, hingen die beiden Räuber und Verbrecher, veraltet Schächer genannt. Die waren weder freiwillig noch dienstlich da, die hingen einfach nur noch in der Luft, die Gesellschaft hatte sie aufgrund ihrer Verbrechen ausgeschieden, gekreuzigt eben. Aber auch die beiden haben einen Verlust zu verbuchen. Der eine, der sich schon gekreuzigt noch eine bissige Ironie leistete und Jesus aufforderte dank göttlicher Kraft die Nägel zu ziehen. Und der andere, der als Last-minute-Gläubiger sich über solche Gotteslästerung seines mit ihm selbst berechtigt verurteilten Kollegen echauffierte und meinte, mit seiner kurzfristigen Sympathieerklärung für Jesus noch was reißen zu können (vgl. Lk 23,39f.). Beide sind verlustig, der eine des Erfolges seiner Bissigkeit, der andere des Erfolges seiner Sympathieerklärung, da diese im je eigenen Halse stecken geblieben, da zu Tode gekommen sind. Doch sie haben auch Glück gehabt, sie haben diesen Verlust nicht gemerkt, weil tot.

Ende einer Kreuzigung

Hier hat dann das allgemeine Interesse der Bevölkerung zur Zeit der Kreuzigung Jesu, wenn es dieses denn gab, einen Schlusspunkt gesetzt oder, genauer gesagt, einfach begonnen zu vergessen oder, noch genauer formuliert, nicht weiter registriert. In vielerlei Richtungen ist dies das traurige Ende einer Geschichte eines Menschen! Nur einfach traurig, wie die erzwungenen Enden der Geschichten von Menschen es nun einmal sind, endlich traurig. Zu ergänzen an dieser Stelle, da nicht ganz auszuschließen, wäre die Information aus wohl informierten Kreisen, dass der Leichnam Jesu vielleicht doch vom Kreuz abgenommen worden sei und in einer Grabstätte nahe dem Ort der Kreuzigung beigesetzt worden sei.

Entsorgung des Kreuzes

Was aus dem Kreuz geworden ist, an dem Jesus gekreuzigt wurde, hatte zeitnah offenbar niemanden interessiert. Zu Brennholz verarbeitet wurde es wohl eher nicht, der Brennholzbedarf in dieser Region war gering. Vielleicht wurde es ja recycelt, und andere Verurteilte „verreckten“ an diesem Tötungsinstrument. Möglicherweise ist es ja auch einfach nur vermodert. Aber wen interessierte das schon.

Tod der Bilder

Wie oben schon bemerkt, gibt es keine exakte Liste derer, die sich „freiwillig“ (Trauergemeinschaft), gezwungen (Häscher) oder dienstlich (Soldaten) im Umfeld des Kreuzes befanden. Doch eines wird ihnen allen gemeinsam gewesen sein, die Mitnahme von Bildern der Kreuzigung im Kopf, auf dem Weg vom Kreuz. Solche Ereignisse geschehen, wahrgenommen aber wurden und werden sie zu verhafteten Bildern im Kopf. Die Kreuzigung hinterließ aber nur fragile Bilder. Die ersten fragilen Bilder starben in den Köpfen der Schächer, ihr Tod ereignete sich um den Tod Jesu. In welcher Reihenfolge die Bilder der anderen „Anlieger“ unter dem Kreuz starben, ist ungewiss, aber auch unwichtig, da alle schon seit über 2000 Jahre tot sind, die Menschen und ihre Bilder.

Erzählen erschafft Bilder

Die „Bilddokumente“ von dem faktischen Ereignis der Kreuzigung Jesu starben in den Köpfen der letzten Zeuginnen und Zeugen der Kreuzigung. Diese Bilder starben, aber die Faktizität des Ereignisses Kreuzigung überdauerte im Wort. Denn eine Handvoll Menschen erzählte damals anderen von den Bildern in ihren Köpfen. Diese Menschen starben auch, aber hinterließen „Weitererzähler“, die diese Bilder wieder in Worten verpackt weiter mitteilten. So „produzierte“ dieses Erzählgut neue Bilder in den Köpfen der Menschen, die zuhörten. Diese neuen Bilder in den Köpfen von Menschen erschufen im 3. bzw. Anfang des 5. Jahrhundert die ersten „realen Bilder“ wie Graffiti, Skizzen, Zeichnungen, Darstellungen, Gemälde, Zyklen und diese auf Stein, Holz, Leinwand und heute auch auf CD. Nun sind diese Bilder, einst nur den Köpfen vorbehalten, dauerhaft sichtbar, nicht mehr nur hörbar. Diese Bilder wurden nun transportabel und so in die Deutungshoheit beliebiger Menschen verschickt, gemailt, erwerbbar und somit freigegeben, neue Bilder in Köpfen zu produzieren.

Verehrte Leserschaft

Hier könnten wir jetzt einen Punkt machen, denn bis hierher ist alles belegbar, einsichtig und annehmbar. Allerdings, was ist bei Ihnen angekommen? Anzunehmen wohl auch diese Erzählung einer Realität, in Bilder verpackt, weitererzählt auch Ihnen heute: „Da erzählten auch sie, was sie unterwegs erlebt und wie sie ihn erkannt hatten, als er das Brot brach.“ (Lk 24,35) Was hören Sie, welche Bilder entstehen in Ihrem Kopf, in Ihrem Herzen, und was kommt davon über Ihre Lippen?

Erschienen in: Religion lehren und lernen in der Schule – Zeitschrift für den katholischen Religionsunterricht, 1/2017
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