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Magst mit einem Zirkus ziehn

Diese Erinnerung reicht hinein in die Zeit meines Jahrespraktikums, das ich Ende der 1980iger Jahre im St. Christopherusheim, einer Einrichtung für Kinder mit Behinderung in Trägerschaft der Caritas, am Niederrhein in Oedt absolvierte.

Wie ein festes Ritual legten wir besonders an den Geburtstagen der Kinder unserer Gruppe eine Schallplatte der „Dillenburger Spatzen“ auf, an deren dritter Position auf Seite A dieses Lied vom Zirkus begann; Text Wilhelm Willms, Vertonung Peter Jansens:

„Ich möcht’ mit einem Zirkus zieh’n, mit vielen bunten Wagen, die meine Welt und deine Welt auf ihren Rädern tragen.“

Wir sangen alle dieses Lied mit, vom Zirkus unterwegs mit vielen bunten Wagen, deren Räder die Menschen aller Kontinente tragen und in dem über ein Traumseil wandelnd die eine Welt mit einer anderen sich verbindet.

Was die Melodie betraf fanden die Kinder und Pädagoginnen auch eigene Töne, mal schräg aber immer schön. Schon die zweite Strophe (von vieren) machte unser Gesang zum ersten Finale dieses Liedes durch eine kaum zu überbietende Kraft in Stimme und Botschaft:

„Ich möcht’ der engen Welt entflieh’n mit meinen sieben Sachen, Sechs Träume und ein Schaukelpferd und Zeit zum Sachen machen.“

Mit diesem Lied tauchten die Kinder einerseits in die ihnen vertrauten Träume ein, andererseits ließ dieses Lied auch neue Träume entstehen.

Schon die ersten Zeilen des Liedes, „ich möchte mit einem Zirkus zieh’n“ verankern Traum in Realität, erden den Traum, ohne ihn zu verlieren und verführen eben nicht zu „ich möchte mit einem Zirkus flieh’n“.

Solch Träumen war für unsere Kinder damals, ist für Kinder heute wertvoll, da Quell für Lebenskraft. Kind sein dürfen bedeutet träumen dürfen. Den Traum einem Kind zu stehlen hat niemand ein Recht. Wer den Traum eines Kindes vor seinen Augen zerbricht, ist schuldig an dessen Zukunft.

Was wird aus den Träumen und seiner Melodie?

„Ich möchte mit einem Zirkus zieh’n, mit vielen bunten Wagen, die deine Welt und meine Welt auf Rädern heimwärts tragen“, ein Kinderlied, von Erwachsenen für Kinder geschrieben und komponiert, auch ein Lied der sogenannten Erwachsenen?

Werden die Textpassagen der Strophen den Kindern nicht vielleicht auch in den Mund gelegt als „Tarnung“ für die Sehnsucht nach Träumen Erwachsener?

Vielleicht verstecken sich Erwachsene mit solch einem Lied für Kinder vor dem „eigenen“ Lied, das von ihren Träumen erzählen könnte, würde es getextet und komponiert.

Dieses Lied – Lieder die Träume der Kinder besingen müssen Lieder der Kinder bleiben dürfen. Sie sind aber nicht nur „Kinderlied“, Erwachsene singen sie oft gerne mit, manchmal wohl auch mangels eigener Lieder. Welch ein Geschenk, so darf resümiert werden, ist ein Lied.

Erschienen in: Anzeiger für die Seelsorge 02/2020
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