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Ordnung freier Rede

Lassen Sie mich beginnen mit einem Erlebnis in meiner frühen Jugend. Mein Nennonkel Otto, Jugendkaplan meines Vaters in Hannover und später Freund der ganzen Familie, ein Salvatorianer Pater, wirkte in einem kleinen Dorf unweit von Aachen. In den Sommerferien war er auch eine Urlaubsadresse. Wenn ich dann in den Ferien bei ihm war ministrierte ich auch in „seinem“ morgendlichen Gottesdienst. Einmal, wenige Minuten vor dem Einzug, drückte Onkel Otto mir das aufgeschlagene Lektionar in die Hand und meinte: “fliege mal drüber und dann kannst du ja die Lesung übernehmen.“ Kaum hatte ich den Text überflogen, zogen wir ein: “Unsere Hilfe ist im Namen des Herrn…!“ Eigentlich neben mir stehend, so mein Empfinden, habe ich die Lesung aus dem Alten Testaments, mit den vielen Namen von Stämmen und Königen vorgetragen. Nach dem Gottesdienst kam eine Frau in die Sakristei die mich überschwänglich lobte: “Du hast ganz toll vorgelesen, eigentlich hast du ja erzählt als wärest du dabei gewesen“.

Unsere biblischen Texte waren ursprünglich Erzähltexte, bevor sie aufgeschrieben, zugeordnet und einer Leseordnung übergeben wurden. Die biblischen Texte halten fest was Menschen im jesuanischen Radius erlebt hatten, und in „ihren“ Worten der Zukunft erhalten wollten. Im Vortrag biblischer Lesungen geben wir diesen Menschen ihre Stimme zurück. Wir horchen so auf deren und nicht die eigenen Worte, um durch sie aufzuhorchen. Als Christinnen und Christen sind wir von Anfang an eine Erzählgemeinschaft in der gilt, „der Glaube kommt vom Hören“ (Röm 10,17).

Zu erzählen, die freie Rede also, bedeutete nicht nur Fakten vermitteln, sondern auch Emotion und Empathie. Erzählende Worte sollten spüren lassen wie sehr die Erzählerinnen und Erzähler selbst begeistert sind von dem, was sie erlebt haben, und dass sie nun drängte anderen davon mitzuteilten.

Zurück zur Liturgie: Sie ist teilweise aus der jüdischen Tradition erwachsen, ein sich in 2000 Jahren Christentum immer wieder findendes, heute mehr festgelegtes Ritual. Bis auf die Predigt des Priesters ist dort längere freie Rede nicht vorgesehen.

Die Orte also, an denen Gottesdienste gefeiert werden sind keine rhetorischen Räume wie in der Antike die Agora in Athen oder das Forum Romanum in Rom. Wie aber aus der Liturgie, die über sie hinauswachsende Konsequenz die Diakonie ist, so sollte eine weitere Folge aus der Liturgie die Konsequenz sein, weiterzuerzählen was in ihr verkündet wurde. Wortgewand schließe ich hier an das an, was der Evangelist wohl mit seinen Worten gemeint hat: „Denn wes das Herz voll ist, des geht der Mund über.“ (Lk 6,46)

Dann könnte aus unserem Hören eine neue Erzählung aufstehen, die zum Beispiel so beginnt: Und es begab sich aber zu der Zeit, …

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