www.christoph-stender.de

Sünden – Begriff, begraben in Sprache

Sieben Charaktereigenschaften unter deren Oberfläche sich Menschen
aktuell selbst verlieren

Von Michael Lejeune/Christoph Stender  (Pastoralblatt 9/2014)

 

Begriffe kommen und gehen

Manche Worte, Begriffe und Formulierungen sterben umgangssprachlich langsam aber sicher aus, weil sie mehrheitlich keine Aussagekraft mehr haben und so bedeutungsleer geworden sind, was nicht gleichbedeuten ist mit unbekannt oder gar unnütz.

Ein Beispiel: Der Begriff „interessant“ ist generationenübergreifend ein gängiges Wort, quasi ein „zeitloses“ Wort. Weniger zeitlos allerdings sind andere Begriffe, obwohl sie dasselbe oder sehr Ähnliches meinen. Aus den 1980iger Jahren Worte wie „knorke“ und „dufte“, oder aus den 1990igern hipp, cool oder geil. Wer heute sagt “wie abgefahren ist das denn“, der will mit dieser Wortwahl auch „wie interessant ist das denn“ zum Ausdruck bringen.

Der Begriff Sünde fällt sprachlich durch

„Kann denn Liebe Sünde sein …“ Diese rhetorische Frage stammt aus dem 1938 gedrehten Film „Der Blaufuchs“, in dem Zarah Leander diesen Titel singt.

Diese Frage ist heute erledigt aber wie steht es um den Begriff. Der Begriff Sünde ist allgemein bekannt, ob der Einzelne in der Allgemeinheit allerdings auch einen persönlichen Zugang zum Sündenbegriff hat, ist fraglich.

Sicher ist, dass das Wort Sünde immer mehr in der sprachlichen Bedeutungslosigkeit versinkt.

Rufen wir uns selbst kurz und knapp, und somit nicht alle Facetten des Begriffes berücksichtigend, die Bedeutung des Wortes Sünde in Erinnerung.

In katholischen Kreisen ist das Schuldbekenntnis (lat. Confiteor -„Ich bekenne“) noch ein Begriff.

Der Begriff Sünde korrespondiert, wie auch in diesem Sündenbekenntnis primär mit dem Begriff Gott. „Wer Gutes unterlassen und Böses getan hat …“, der hat sich in jedem Falle gegen Gott versündigt, nicht nur, da auch gegen den Menschen, aber immer auch!

Sünde im herkömmlichen Verständnis

Um sich dem Begriff Sünde heute (wieder) zu nähern, hilft es, sich an ihn über einen Grundvollzug des Menschen, nämlich den der Kommunikation heranzutasten.

Kommunikation ist ein unverzichtbares Lebensmittel der menschlichen Existenz. Ohne Kommunikation kann der Mensch nicht leben. Allerdings braucht man nicht ständig mit allen möglichen Optionen zu kommunizieren, denn es reicht auszuwählen. Da gibt es Menschen mit denen man einfach nicht kommuniziert, da kein Bedürfnis vorhanden ist. Mit anderen wiederum pflegt man punktuell die Kommunikation, und dann gibt es da Menschen, mit denen man fast ständig kommuniziert. Egal wie breitgefächert und intensiv eine Kommunikation auch sein mag, eines ist zwingend: das Gegenüber, welches ebenfalls bereit ist zur Kommunikation!

Dies nun übertragen auf die Fähigkeit des Menschen zur Sünde in der Kommunikation mit Gott:Gott hat dieKommunikation mit jedem Menschen eröffnet, beschrieben in der Offenbarung des Ersten Testamentes, wie auch im Zweiten Testament beschrieben mit der Menschwerdung Jesu Christi.

Der Mensch, dem diese offenbarende Kommunikation Gottes nie zugänglich wurde, kann sich ihr auch nicht aktiv verweigern. Der Mensch allerdings, dem die Kommunikation Gottes zugänglich ist, sich derer aber punktuell oder grundsätzlich verweigert, kann zum Sünder werden bezogen auf Gott und auf den Mitmenschen.

Theologisch formuliert: Unter Sünde versteht man die Weigerung des Menschen, Gottes Willen zu erfüllen. Die Sünde stellt deshalb immer eine Missachtung Gottes dar. Hinsichtlich der einzelnen Sünde (im Gegensatz zur Erbsünde) wird noch unterschieden zwischen schwerer Sünde und Todsünden, die in freier Entscheidung bewusst vollzogenen Übertretungen göttlicher Gebote, beziehungsweise die grundsätzlich vollzogenen Abkehr von Gott.

Derjenige also, der so weit geht und von sich aus die Kommunikation mit Gott ganz abbricht und sich Gott gegenüber tot stellt, begeht so eine Sünde zum Tod.

Von der „Schwere“ des Sündenbegriffes

Warum nun der Begriff Sünde von seiner ursprünglichen Bedeutung immer mehr entfremdet wurde, liegt neben dem Wandel der Sprache wohl auch in seiner einmaligen „Schwere“, die beim Hören oder Sprechen dieses Wortes mitschwang und ggf. auch noch mitschwingt.

Sünde als Abkehr von Gott, der das Leben schenkt, Sünde als Leugnung Gottes, die in den Tod führt, das sind fatale Abgründe im Leben von Menschen, die um ihren Gottesbezug wissen.

So ist anzunehmen, dass dieses Wort, offenbar nicht loslösbar von dieser „Schwere“, gerade deswegen bedeutungsleer geworden ist.

Der Begriff Sünde, besonders in den 1980iger und 1990iger Jahren in immer anderer, immer trivialerer Weise verwendet und der Allgemeinheit nur noch durch Werbung und Marketing in verniedlichter Form präsentiert, hat oberflächlich betrachtet alles verloren, was er einst bedeutete.

Somit musste man sich vordergründig nicht dem stellen, was sich hintergründig mit diesem Wort verband und wohl noch immer verbindet, dieser „Schwere“, die dem Begriff der Sünde irgendwie eingebrannt bleibt.

Damit hat der Mensch sich aber auch gleichsam von diesem Begriff befreit. Dass er diese derart schnelle Entwicklung vollzogen hat und in seiner „Gefährlichkeit“ weit unter der Bedeutung von Ehebruch, Verrat und Mord gehandelt wird, kann ein Indiz dafür sein, dass es eben dieses Bestreben gab (und auch immer noch gibt), sich von diesem Begriff, genauer von seiner „Schwere“ zu befreien.

Wie aber geht Gesellschaft heute mit dem alltäglichen Phänomen der Schuld verbal um?

Es ist wohl eine diffuse Angst des Menschen vor einer Wirklichkeit, die dazu verleitet Worte zu tilgen, die das Grausame, Böse oder Unheimliche auf den Punkt gebracht zum Ausdruck bringen.

Ein Mensch nimmt einem anderen Menschen das Leben, er bringt ihn um sein Leben, er ermordet ihn. Doch je mehr Menschen er um ihr Leben bringt, desto abstrakter gestaltet sich die geläufige Beschreibung für sein Handeln. Das Individuum, das den Tod erleidet, ist in einem Begriff wie Massenmord nur noch entfernt wahrnehmbar.

Genozid, sprachlich mehr umfassend als der Begriff des Massenmordes, reduziert eine Vielzahl von individuellen Schicksalen und Tragödien auf eine rationalisierte Abstraktion.

Auch der Begriff Massenvernichtungswaffe deutet nicht auf den eigentlichen Täter hin, den nämlich, der diese verwendet, und auch nicht auf die möglichen individuellen Opfer.

Die Begriffe Sprengkraft oder Reichweite probieren die Gefährlichkeit zumindest rational zu erfassen angesichts der Unfassbarkeit der möglichen Gräuel.

Wenn all diese Gräuel aufgrund ihrer Bedeutung immer noch im Oberbegriff der Sünde zu fassen wären, muss also auch dieser Oberbegriff eine Abstraktion erfahren haben.

So wird heute unter dem Begriff „Sünde“ nur noch die kleine „essbare Sünde“ verstanden, oder eine, die der liebe Gott „netterweise“ sofort straft (mit Kleinigkeiten versteht sich).

Ähnlich hat der Begriff „Schuld“ an Kontur verloren: „Du bist schuld“ ist eine sehr geläufige Weise, den Begriff Schuld in zuweisender Form zu verwenden. So aber wird er verkürzt hinein in die milde Form „schuld“, statt in der klareren, die tätige Person bezeichnenden Formulierung „schuldig“.

Selbst der Begriff „groß“ bezogen auf Schuld und sie steigern wollend, wirkt müde, hat er sich doch von der „maxima culpa“ durch neue Wortschöpfungen weiter entfernt und so verharmlost. Eigentlich müsste in unserer Begriffsveränderung auch der Begriff „groß“ adäquat gesteigert werden mit Begriffen wie „extrem“, „krass“ oder sogar „unüberbietbar“. So wäre umgangssprachlich die Übersetzung von „maxima culpa“ z.B. als „heftige Schuld“ gewichtiger ausgedrückt.

Vergebung degradiert zum selbstgefälligen Automatismus

Auch die Handhabung der Bitte um Vergebung im Alltag hat sich verändert. „Entschuldigung“ als Wort ausgesprochen wird meist nicht mehr erbeten, sondern in der Aussage vorausgesetzt und so im Vorhinein als schon gewährt angenommen.

Die alltägliche Floskel „Entschuldigung“ würde als Aufforderung formuliert „Entschuldigen Sie bitte“ die „geschädigte“ Person zumindest noch als Ausführenden des Imperativs in die Vergebungshandlung integrieren.

Aber vielleicht ist ja die Notwendigkeit des Aktes zur Vergebung der eigenen Schuld das eigentlich Beängstigende:

Die Vergebung liegt nicht im eigenen Machtbereich, wir können weder Gott noch die Mitmenschen dazu drängen uns zu vergeben. Man kann zwar in jedem Moment Schuld auf sich nehmen, doch ist es nicht möglich, in jedem Moment für das begangene Unrecht auch Vergebung zu erlangen.

Selbst über dem reinen Gewissen schwebt immerzu, gleich dem Damokles-Schwert, der Farbeimer Schuld (Sünde), der im Nu die weiße Weste wieder beflecken kann.

Und so ist ein häufig zu hörendes „Entschuldigung“ vielleicht Ausdruck dieses Wunsches nach stetig reiner Weste und gleichsam eine auf die eigene Person bezogene Versicherung, sich, wenn man einen Fehltritt gemacht haben sollte, doch zumindest entschuldigt zu haben.

Wenn es heute also immerzu Grund gibt, Handlungen zu entschuldigen; diese Handlungen ihrem Charakter entsprechend auch nicht so schlimm sind; die Gefahr sich zu versündigen offensichtlich nicht besteht: Wohin hat sich dann die Essenz der Sünde verlagert, wenn sie nicht mehr dem Begriff innewohnt? Hat sie sich eventuell sogar anderer, mehrerer Begriffe angenommen, um ihren Wesen gerecht zu werden?

Sieben Charaktereigenschaften, um sich selbst zu verlieren

Wir wollen auf sieben Charaktereigenschaften eingehen, die Ursache -in christlicher Terminologie formuliert -für die „schweren“ Sünden sind, jene Sünden, die eine schwerwiegende Materie zum Gegenstand haben, die mit vollem Bewusstsein und aus freiem Willen begangen werden und deren Schwere und Konsequenzen im Vorhinein absehbar ist.

Die aktuellen Bezüge, in die hinein wir die sieben Charaktereigenschaften stellen, bringen ihrerseits wieder eine gewisse „Schwere“ mit sich.

Hochmut

Im Zeitalter sozialer Netzwerke, die zum großen Teil im digitalen Reich interagieren, gewinnt das Wort Hochmut eine neue Bedeutung. Die Möglichkeiten, jeden an allem, was man tut, teilhaben zu lassen, führen unweigerlich dazu, dass eine Filterung vorgenommen wird und nur das positive, subjektiv Mitteilungswürdige in vereinfachter, manchmal leicht abgewandelter Form mitgeteilt wird. Allerdings kann es aufgrund fehlender Möglichkeiten zur lokalen Interaktion, bedingt zum Beispiel durch große physische Entfernungen, dazu kommen, dass ein jeder ein wenig misstrauisch wird, wenn er von all den tollen Erlebnissen anderer erfährt. Das Misstrauen kann auch zu einer Anpassung führen.

Dadurch relativiert sich der Hochmut. Jeder rechnet den Hochmut des anderen in die eigene Verarbeitung des Erfahrenen mit ein. Selbst die größte Angeberei oder Lüge wird verziehen bzw. nachempfunden. Langfristige Konsequenzen sind nur in wenigen Fällen zu fürchten und so gliedert sich ein kleiner Teil des digitalen Hochmuts als selbstverständlich mehr und mehr ein.

Habgier

Die Finanzkrise! Von den Medien zurückgeführt auf seine eigentliche Ursache, die Habgier der Manager.

Die eigentliche Habgier eines jeden einzelnen, der selbstverantwortlich sein Geld zur Bank getragen hat mit der Einstellung, jeder habe ein Grundrecht darauf, dass es sich von selbst vermehre ohne dass der einzelne in irgendeiner Verantwortung stehe, wird kaum als solche bezeichnet. Würde sie doch jedem Einzelnen zu denken geben, ob heutzutage in der Loslösung von einerseits Geldvermehrung und andererseits den damit wirklich verbundenen Vorgängen, der einzelne nicht mehr Verantwortung in Bezug auf sein Hab und Gut übernehmen muss. Vielleicht verbunden mit der Einsicht, dass ein stetiges „Mehr“, das als solches nicht Naturgesetz ist, nicht auch auf Kosten ganz aktueller, dem Eigenen nicht so verschiedenen Individuen geschieht. Die Einsicht, dass manchmal nicht beide Seiten gewinnen können und es dazu kommt, dass der Handwerksmeister nebenan seine Firma verkaufen muss, damit der Bankkunde seine 2% Zinsen erhält. In einer Welt, in der alle direkten wirtschaftlichen Investitionen durch Überbegriffe wie Fonds, Aktien und Investments verschleiert werden neigt man, dazu, zu vergessen, dass es immer noch die Gier ist, mit der ich vielleicht der Familie zwei Straßen weiter die Existenzgrundlage nehme, da ich mein Geld vermehrt wissen will. Eine scheinbare Unmöglichkeit, die finanziellen Vorgänge genau zu erfassen führt scheinbar zu einer reinen Weste. Scheinbar.

Wollust

Sehr nah mit der Völlerei verwandt, äußert die Wollust sich heute doch am prägnantesten nicht in aufgehobenen Sperrbezirken oder sexistischer Werbung, sondern in der Einfachheit und Vielfalt, pornografische Inhalte im Internet zu betrachten. Die Möglichkeit, jederzeit jeden benötigten Fetisch zu befriedigen bzw. neue zu entdecken birgt, einen unsagbaren Reiz und die Normalität mit der diese Befriedigung vollzogen wird birgt Risiken.

Zuvorderst natürlich die der Abhängigkeit, im Grunde aber die der jederzeitigen Abrufbarkeit.

Die Gefahr, eine monogame sexuelle Beziehung schnell als zu eintönig zu betrachten und sich jederzeit, Internetzugang auf dem Mobiltelefon vorausgesetzt, eine Horde von verschiedenen Frauen oder Männern zu unterwerfen und der Imagination zwar Raum zu lassen, nicht jedoch den von ihr benötigten, in der persönlichen Beziehung situierten Imagination.

Desweiteren steigert das Gesehene die Erwartungshaltung von Heranwachsenden und wirft ein falsches Bild auf das, worum es eigentlich bei der sexuellen Vereinigung gehen sollte. Unter diesem Druck jedoch, dem „öffentlichen“, da im Internet propagierten, Bild gerecht zu werden, sind sexuelle Erfahrungen möglichst schnell in möglichst reicher Form zu sammeln und wenn dies nicht möglich ist, sodann sich mit dem nur Betrachteten selbst zu brüsten.

Zorn

Der Zorn ist ähnlich der Wut. Doch hat die Wut eine Seite, die dem Zorn zu fehlen scheint, die Traurigkeit, die sogar „Verzeihung“ gebären könnte.

Dem Zorn fehlt (im Gegensatz auch zum Hass) die Reflexion seines Ursprungs, weil er sich ausschließlich im Da-Sein gibt und nicht in der Überlegung da sein zu können. Zorn ist! Er zögert nicht, da zu sein in Gedanken Worten und Werken. Weiter kennzeichnend für den Zorn ist seine Vernichtende Intention. Sie schlägt mit platten wie mit geschliffenen Worten, mit Fäusten und mit Hinterhalten. Eine recht neue Bühne, auf der der Zorn auftritt, sind die „Sozialforen“ im Internet. Hier kann der Zorn fast ungestraft verletzen und ruinieren im Gewand der Verleumdung und des Rufmordes. Ein meist in anderen Ursachen begründeter Hass entwickelt sich zum realen Zorn, der sich „besinnungslos“ entfesseln kann. Anonymität schützt vor weitreichenderen Konsequenzen und als Teil einer Masse von „Hatern“ (engl. für Menschen, die ihren Hass mitteilen) ergibt sich neben der Befriedigung der Aggression noch ein Zusammengehörigkeitsgefühl im Zorn, auch wenn dieses meist Illusion ist, da die eigentlichen Ursachen für den Zorn im Kollektiv unterschiedlicher nicht sein könnten.

Völlerei

Völlerei macht nicht notwendig auf die leibliche Fülle bezogen dick, sondern sie macht auch dick im Sinne von Informationsverfettung, aufgespeckt von dem Willen, alle möglichen Kontakfluten zu bedienen und oben drauf gepackt die Gier, alles zur Verfügung zu haben mit der Bereitschaft, jede Schmerzgrenze abzuschalten.

Völlerei ist nicht mehr nur ein Verhalten das die Waage zum Ausschlag bringt, sondern auch eine Verfettung der Seele, der jedwede Hygiene als Schutz verweigert wird.

Durch Reizüberflutung und Informationsfülle kann der adoleszente Mensch, der von Kindesbeinen an gelernt hat, in diesem
Informationsmeer zu waten, dessen Imagination es ist, noch bunter, noch greller noch lauter sein zu müssen als das schon existierende, das ihn umgibt, ins Wanken geraten und ertrinken.

Als Neuigkeit gilt nur etwas Dramatisches, nie Dagewesenes. Höchstleistungen werden promoviert und auch zur Fußball- Weltmeisterschaft 2014 merkte man, dass es kein Spiel mehr gab, das nicht in irgendeiner Form durch heroische Musik und private Storys zum „nie dagewesenen Entscheidungsspiel“ aufgebauscht wurde.

Neid

Der Neid hat oft eine ganz „liebevolle Wurzel“, dieses so sein zu wollen wie jemand anderes, den man vielleicht sogar besonders mag oder als Vorbild verehrt, also zu haben und/oder zu sein, was aus einem selbst heraus sich nicht zu ergeben scheint. Das subjektiv erlebte, und vielleicht zur objektiven Wahrnehmung von anderen Neidern erhobene Defizit wird da zum Neid, wo es als Selbstwert angestrebt nur im Gegenüber realisiert wird. So zu sein, zu haben und zu wirken wie ein anderer, aber es nicht zu können, aus welchen Gründen auch immer, gebiert den Neid und mit ihm (oder ihm sogar voraus) die Selbsterniedrigung. Das kollektive „Gleichauftreten“ in Meinung, Kleidung und Technologie löst vorderhand betrachtet dieses Problem, und so sind es wieder mal die Markenklammotten, die Smartphones und der allgemeine Konsens, die über Integration entscheiden. Die Funktionstüchtigkeit nimmt an Bedeutung immer mehr ab, da schon zwei zurückliegende Versionsnummern einen Gegenstand, der vor einem Jahr noch als Spitze der Technologie gefeiert wurde nun als Relikt aus vergangener Zeit erscheinen lassen.

Trägheit

Trägheit als solche ist in leicht abgewandelten Formen innerhalb der Gesellschaft genauso vorzufinden wie zu allen Zeiten. Eine Sonderform der Trägheit ergibt sich aber heutzutage aus der Informationsflut, der wir ausgesetzt sind; durch Abitur spätestens mit 18, anschließendem Studium mit Bachelor und Masterabschluss, und dies aber bitte möglichst schnell; durch mehr und mehr fehlende „außerschulische“ Aktivitäten, sei es die Organisation in Vereinigungen, die nicht unbedingt mit einem smarten Lebenslauf zu tun haben, sei es die Arbeit zur Finanzierung des Studiums, die nicht in angegliederten Instituten stattfindet; alles in allem: Die mangelnde Möglichkeit in der neben dem Studium existierenden Welt Erfahrungen zu sammeln und Menschenkenntnis zu erlangen, führt zu einer Trägheit, die, verbunden mit den Möglichkeiten, sich zu jedem Thema eine Meinung zu bilden, eine Meinungslosigkeit zu Folge hat.

Das schier unübersichtliche Angebot von Meinungsbildern zu allen nur erdenklichen Themen mit jeweils ausgefeilten Pro-und Kontra-Argumenten überfordert in den meisten Fällen die Nutzer.

2013 eine Überwachungsaffäre in bisher kaum vorstellbaren Ausmaßen und bald darauf die nächste, in Formaten, die bisher auch in menschenverachtenden Systemen so komplex nicht vorkamen, werden heute bestenfalls nur noch „mit Fassung getragen“. Auch das ist eine Trägheit, das bewusste Ignorieren einerseits, da man ja doch nichts ändern kann, und andererseits, da man ja wirklich keine Zeit hat, auf die Geschehnisse auch noch persönlich zu reagieren.

Umgangssprachlich ist der Begriff Sünde vergänglich, nicht aber sein Wesen

Auch wenn dieser Einstieg nur als Kratzen an der Oberfläche zu verstehen ist, so wollten wir dafür sensibilisieren, dass die Sünde als „eindeutiger“ Begriff im allgemeinen Sprachgebrauch eher untergegangen ist. Vorhanden geblieben allerdings ist dieses „etwas“, das mit dem Begriff Sünde verbunden, durch deren verbalen Untergang aber nicht einfach aus der Welt verbannt ist.

Und auch wenn das Wort Sünde nicht mehr die Furcht hervorruft wie in früheren Zeiten, so gilt im Grunde doch, dass die eigentlichen Vorgänge, die zur „Sünde“ führen zwar ewig wechseln, doch den gleichen Mustern folgen. Sich von diesen zu lösen, verlangt den Menschen heutzutage genauso viel ab wie den Menschen älterer Gesellschaftsordnungen.

Ob Verhaltensweisen wie beispielhaft in den sieben Charaktereigenschaften beschrieben, die nur vordergründig auf der Seite des Lebens stehen, nun als Schuld bezeichnet werden oder explizit mit Gottesbezug als Sünde, entpflichtet in keinem Fall den Mensch, der Reflexion fähig, sich dem Phänomen im eigenen Leben zu stellen. Eine solche Reflexion dient immer dem Ziel, die eigene Lebensqualität weiter zu entfalten.

 

 

 

Erschienen in:  Pastoralblatt für die Diözesen Aachen, Berlin, Essen, Hildesheim, Köln und Osnabrück, 9/2014, S. 175 ff
Dieser Beitrag wurde in Aufsätze, Aufsätze + Artikel veröffentlicht und getaggt , , , , . Ein Lesezeichen auf das Permalink. setzen. Kommentieren oder einen Trackback hinterlassen: Trackback-URL.

Einen Kommentar hinterlassen

Ihre E-Mail wird niemals veröffentlicht oder weitergegeben. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Sie können diese HTML-Tags und -Attribute verwenden <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>

*
*

© Christoph Stender | Webdesign: XIQIT GmbH
Impressum

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen