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Teilen, um wieder leben zu können

Kurz vor dem Anläuten des Katholikentags: Gedanken zum Leitwort „leben teilen“. Es soll nicht nur die Tage in Stuttgart prägen, sondern weiterwirken und weitergehen:
zum Teilen des Lebens, eingeladen von Jesus, gemeinsam am Tisch des Herrn.

So ist Katholikentag: Ein starker Impuls muss her, wie ein heller Funke, damit der Motor anspringt, der Maschinenraum Fahrt aufnimmt und so das Werk Gestalt annehmen kann. Dieser helle Funke ist das Leitwort „leben teilen“. Beschlossen wurde es auf Empfehlung der Katholikentagsleitung vom Hauptausschuss des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. Beide Gremien sind die „Kapitänskajüte“ des Katholikentags. Gestalt in Planung und Durchführung nimmt das Event dann im Maschinenraum an, durch Kopf und Hand vieler ehrenamtlich wie hauptamtlich Engagierter.

Das Leitwort ist das in all seinen Facetten zu behandelnde Thema während des Katholikentags – in der Hoffnung, dass diese Befassung in eine lebensrelevante
Nachhaltigkeit im Leben der Teilnehmenden mündet. Aber auch schon im Vorfeld konnte es seine Wirkkraft entfalten als Prinzip christlicher Kommunikation. So haben die in der Vorbereitung Engagierten bereits hingehorcht und erlebt, was das Leitwort bedeuten kann.

Mein erstes Hineinhorchen in „leben teilen“ erinnerte mich an eine Standardformulierung meiner Oma aus Kindertagen. Immer wenn ich etwas – meist Süßes – geschenkt bekam, sagte sie: „Das teilst du mit deinem Bruder, sonst …!“ Nach der Devise „Lieber der Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach“ teilte ich bereitwillig.

Das Wort „teilen“ kann also vielfältige Assoziationen hervorrufen: ausgelöst durch Kindheitserinnerungen, erfahrene Notsituationen, familiäre Ereignisse oder gesellschaftliche Gegebenheiten. Daneben lässt das Wort „leben“ ein ganzes Leben lang Raum zu, in den hinein es ausdifferenziert werden kann; der Kreativität der Auseinandersetzung mit den beiden  Begriffen sind also keine Grenzen gesetzt.

Auch die biblische Lektüre eröffnet unterschiedliche Dimensionen zu den beiden Verben des Leitworts. Leben ist Gabe! Der Beginn des Lebens ist im Alten Testament eingebettet in Bilder der Schöpfungserzählung. Gott bildet den Menschen aus „Staub vom Erdboden“ und bläst ihm den „Atem des Lebens“ ein (Gen 2,7). Leben ist Datum („es ist gegeben“), Geschenk, Gabe Gottes. Gott der Schöpfer erschafft das Leben, in ihm ist es begründet, in ihm ist es gehalten (Ps 16,10). Der „lebendige Gott“ (Ps 42,3) ist „Quelle des Lebens“ (Ps 36,10) und Schutz des Lebens“ (Ps 27,1). Amos überliefert: „Wer Gott sucht, wird leben“ (5,4).

Der Gottesbezug prägt das Leben des Menschen, denn zu leben ist als Gabe Gottes nicht vom Geber zu trennen. Das Alte Testament unterstreicht dabei, dass man, um zu leben, auch zwischenmenschlicher Beziehungen bedarf. Der Mensch wird in eine Generationenfolge hineingeboren und ist eingebettet in ein familiäres und soziales Umfeld.

Viele der dann im Neuen Testament beschriebenen Begegnungen mit Jesus handeln davon, (wieder) leben zu können. Im Markusevangelium (1,29–31) wird berichtet: „In jener Zeit ging Jesus zusammen mit Jakobus und Johannes in das Haus des Simon und Andreas. Die Schwiegermutter des Simon lag mit Fieber im Bett. Sie sprachen sogleich mit Jesus über sie und er ging zu ihr, fasste sie an der Hand und richtete sie auf. Da wich das Fieber von ihr und sie diente ihnen.“ Die aufrichtende Hand Jesu hilft der Frau, wieder leben zu können. Von „außen“ wird einem Menschen in dieser Erzählung Hilfe zuteil, die es ihm dann ermöglicht, wieder unbelastet und eigenständig leben zu können.

Streifen wir in gleicher Weise das Wort „teilen“ neutestamentlich, können wir festhalten, dass der Begriff eher unausgesprochen auftaucht, so in der Abendmahlsszene bei Lukas (22,19): „Jesus nahm Brot, sprach das Dankgebet, brach das Brot und reichte es ihnen.“ Besonders prägnant schimmert der Begriff in der Apostelgeschichte als „Kennzeichen“ der jungen christlichen Gemeinden durch: „Keiner nannte etwas von dem, was er hatte, sein Eigentum, sondern sie hatten alles gemeinsam“ (4, 32).

„Teilen“ ist aber auch ein theologischer Kernbegriff: Die göttliche Offenbarung begreifen wir als die Selbstmitteilung Gottes in Jesus Christus. Gott teilt sich den Menschen in Jesus mit. In der Geschichte des Christentums spielt teilen, mal mehr mal weniger, trotzdem eine zentrale Rolle.

Diese Einlassungen deuten vage das Spektrum an, das mit dem Leitwort „leben teilen“ eröffnet ist. Die Verben „leben“ und „teilen“ sind gewiss keine akademische Instruktion, sondern bezeichnen ein Erleben, das mit dem Dasein des Menschen verknüpft ist: Teilen ist eine Grundhaltung christlicher Weltverantwortung, teilen ist ein Charakteristikum christlicher Existenz.

Ein konkretes Bild des Teilens stellt der heilige Martin von Tours mit der Mantelteilung dar. Er ist die wohl berühmteste Ikone des Teilens und ganz nebenbei auch der Diözesanpatron des Bistums Rottenburg Stuttgart. Deswegen ist der Mantel als Symbol des Teilens liturgisch integriert in die im Fernsehen übertragenen Gottesdienste an Christi Himmelfahrt und zum Schluss am Sonntag. Monate vor dem Katholikentag gestalteten Schulen, Gemeinden, Einrichtungen und Vereine des Bistums ganz individuell rot eingefärbte Stoffstücke. Alle dieser 1 100 „Mantelteile“ wurden zu einem drei Meter breiten und 80 Meter langen Mantel zusammengenäht. In einer
Choreografie wird der Mantel dann im Himmelfahrtsgottesdienst symbolisch Himmel und Erde verbinden.

Im Schlussgottesdienst wird der Mantel geteilt. Die so abgetrennten Stoffstücke werden für die Vielfalt der Diözese Rottenburg-Stuttgart beispielhaft in die Hände der Vertreterinnen und Vertreter von #outInChurch gelegt, der muttersprachlichen Gemeinden, des Synodalen Wegs, der Caritas und der Weltkirche als Ermutigung, weiter zu teilen. Teilen ist auch ein Lernprozess.

Der Katholikentag wird seine Besucherinnen und Besucher einladen, auf vielerlei Weise den Versuch zu wagen „Leben zu teilen“. Schon in der Vorbereitung war dieses Leitwort zu hören, aber das nachhaltige Weiterklingen ist zentrales Anliegen des 102. Katholikentages. Nach dem Ökumenischen Kirchentag 2021 in Frankfurt werden auch in Stuttgart die Christinnen und Christen der beiden „großen“ Konfessionen noch nicht gemeinsam ihr Leben am Tisch des Herrn als von Jesus Eingeladene teilen können. So lebt am Schluss dieses Katholikentages auch ein Traum, der geteilt werden will: „Ich träume ein Mahl, das trägt und das von allen Gesichtern dieser Welt lebt. Ein Krümel die Welt sättigt und ein Schluck Wein spüren lässt, dass Gott Gastgeber ist.“

 

CHRIST IN DER GEGENWART Nr. 21 / 2022
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