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Vom Bitten und Gebetenwerden

Das könnte Ihnen passieren: Da kommt eine Person auf Sie zu, vielleicht stehen Sie gerade an der Bushaltestelle oder in der Warteschlange vor der Supermarktkasse, fällt vor Ihnen auf die Knie und fleht Sie an: „Bitte, bitte, Sie müssen mir helfen!“

Es bedarf keiner ausgefeilten Phantasie, um sich auszumalen, wie das Umfeld reagieren würde: leicht verunsichert vielleicht und den Vorfall ignorierend, oder bestimmt die Stimme erhebend: „Verschwinden Sie und belästigen Sie die Leute hier nicht!“

Also: Jemand fällt vor Ihnen auf die Knie und bittet Sie in aller Öffentlichkeit um Hilfe. Die Umstehenden vermuten, Sie wären dieser Person etwas schuldig oder hätten ihr gar etwas vorenthalten, mit der Folge, dass vage Spekulation an Ihnen kleben bleibt.

Es ist klar: Wer so bedrängend bitten muss, hat schlechte Karten. Wer aber so auffallend gebeten wird, ist auch in keiner entspannten Situation. Was lässt die Bitte für alle Beteiligten oft unpässlich sein?

Mir scheint, dass die öffentliche Bitte eines Menschen in unserer Gesellschaft kein gerngesehenes Element einer positiven Kommunikationskultur ist. Menschen, die um Hilfe bitten, verbreiten eine Aura des Versagens, der Unfähigkeit und der Erfolglosigkeit. Das bedient nicht die ach so gepflegte Illusion einer Gesellschaft, immer weiter eine Erfolgsgeschichte nach der anderen schreiben zu müssen.

Dabei ist das Bitten nicht zu verwechseln mit der Kommunikationsform des Bettelns. Der Bettler sitzt meist schweigend vor einem Pappbecher, in der Hoffnung, dass ihm Vorbeigehende eine „milde“ Gabe – wofür auch immer – überlassen. Bitten dagegen ist der Versuch, andere in das eigene Schicksal des Zerbrechens aktiv zu integrieren, in der Hoffnung, meist selbstdefinierte Hilfe zu erfahren.

Aber mir scheint es sogar so, dass eine Bitte an sich heranzulassen, mit ihr umzugehen, sich öffentlich als Gebetener zu akzeptieren, manchmal schwerer fallen kann, als selbst zu bitten, auf einen vielleicht auch fremden Menschen zuzugehen und ihn mit einer klaren Bitte zu konfrontieren. An diesem Punkt nun angekommen, bietet sich diese persönliche Frage an: Bitten Sie andere Menschen um wesentliche „Dinge“ oder Hilfestellungen, die sie sich selber nicht geben können? Könnten Sie sich, vielleicht auch in einer gewissen Öffentlichkeit, die Blöße geben, „Bittsteller“ zu sein, und so auch zu signalisieren: „Ich kann mein Leben nicht ganz ohne Hilfe in den Griff bekommen“?

Zu bitten aber ist keine Schande. Bitten erwächst aus der Erkenntnis, zerbrechlich zu sein. Ein Mensch versucht, mit Hilfe eines Anderen der eigenen Zerbrechlichkeit etwas von ihrem erbarmungslosen Tempo zu nehmen. Bitten macht stark.

Erschienen  in: Katholische SonntagsZeitung für Deutschland, 30. Juni/01. Juli 2018 / Nr. 26
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