www.christoph-stender.de

Wer wagt, der gewinnt

Von Michael Lejeune und Christoph Stender

Sechs Ordensschwestern aus Aachen entschließen sich 1932, ihre Arbeit nach Indonesien zu tragen. Aus einer Reise wird die Zukunft vieler Kinder.

 

An runden Geburtstagen, bei einschneidenden Ereignissen, aber auch in Krisen schleicht sich oft diese Frage an: Soll dein Leben so weiterlaufen, oder ist noch eine Wendung gewollt? Kurz gesagt:
„War‘s das oder kommt da noch was?“ Am 6. Mai 1932 war für sechs junge Frauen klar, dass eine Lebenswende beginnt, die sie bewusst eröffneten mit dem ersten Schritt auf einen Ozeandampfer  – Ziel ihrer Passage: Indonesien. In Gedanken malten sie sich das noch Unbekannte ihres Zieles aus, als sich auf dem Schiff für sie schon Fremdartiges ereignete. In ihrem ersten Brief an die Daheimgebliebenen berichten sie: „Man scheint die kommende Wärme zu erwarten, denn schon heute Morgen erschien ein großer Teil der Damen in ganz freier Toilette, ohne Ärmel und mit tief ausgeschnittenem Hals. Wir haben so alle den Eindruck, dass das Leben auf einem großen Schiff mit dem modernsten Leben der Großstadt gleichsteht. Da passt eine Schwester von armen Kinde Jesus nun einmal nicht hinein. Wir halten uns denn auch so viel wie möglich für uns allein …“

Mit dem Verlassen des Ozeandampfers standen diese „auffallend gekleideten“ Ordensfrauen in ihrer neuen Welt, gespannt, etwas nervös und in freudiger Erwartung auf die Menschen, besonders die Kinder. Kleidung kann noch immer Ausdruck unterschiedlicher Lebensentwürfe sein. Die Schwestern in ihrem damaligen Habit mit weißer Haube und schwarzem Schleier standen für einen existenziell mit Gott verbundenen Lebensentwurf. Diese Bindung war für Clara Fey, Gründerin der Genossenschaft Schwestern vom armen Kinde Jesus (PIJ Congregatio Pauperis Infantis Jesus), das Fundament ihrer Gemeinschaft. Darin eingebettet ist bis heute die Sorgeumdas arme, vernachlässigte und schutzlose Kind. Solcher Kinderarmut ist Clara Fey in ihrer Heimatstadt Aachen selbst noch an jeder Ecke begegnet. Sie gründete mit drei Freundinnen 1844 ihren Orden PIJ, um dieser Armut, eine Auswirkung der Industrialisierung, entgegenzuwirken. Ihr Ziel war es,  perspektivlosen Kindern Bildung, Kleidung, Nahrung und Gottvertrauen zu ermöglichen.

Der Bischof von Malang in Indonesien erfuhr von diesem Engagement und bat die Schwestern, auch für „seine“ armen Kinder in Pasuruan da zu sein. So begannen sie, ihre erste Niederlassung in Indonesien zu errichten. Von diesen ersten Tagen berichtet eine der Schwestern: „Ich brauch nicht zu verhehlen, dass unser Leben hier ein reiches Opferleben ist, wenn ich nur an all das  Ungemach des Klimas, der Hitze und der Tiere denke (…).“ Doch die Schwestern ließen sich nicht unterkriegen. Ein Besuch eines Teils der Einrichtungen der Schwestern in Indonesien zeigt, was nach 85 Jahren aus der Holländisch-Chinesischen Schule mit damals 40 Kindern geworden ist. Was damals erstaunlich aber klein begann, ist bis heute zu einem großenWerk gewachsen, mit etwa 80 einzelnen Einrichtungen wie Kindergärten, Schulen und Internaten. In 28 Lebensgemeinschaften wirken 150 Schwestern, darunter auch muslimische Kräfte, zusammen. Der größere Teil der dort unterrichteten Schüler sind ebenfalls Muslime. Neben der Vermittlung von Wissen, werden auch ihre musischen und sportlichen Qualifikationen sowie fairer Wettbewerb und soziale Kompetenzen gefördert. Damals wie heute steht die Begegnung mit dem Kind als Individuum im Mittelpunkt ihrer Pädagogik. Besonders Kinder mit Einschränkungen werden individuell betreut, um keines der Talente ungefördert zu lassen. Die Präsenz und die Wirkweise der Schwestern sind in die Kultur und Natur des Landes hineingewachsen.

Bauern unter Druck der Industrie

Ihr Engagement wächst weiter in einem Land mit 200 Millionen, meist der sunnitischen Richtung des Islams zugehörigen Muslimen. Indonesien hat damit den weltweit größten muslimischen  Bevölkerungsanteil. Von den neun Prozent Christen im Lande sind drei Prozent römisch-katholisch. Armut bestimmt das Leben vieler Familien besonders auch auf dem Land. Dort ändern sich  weite Teile der Landschaft mit ihrem Regenwald merklich zu einem Schlachtfeld, auf dem Kilometer weit Palmen „aufgestellt“ sind wie ein Heer von Soldaten. Ihr Gegner die Kleinbauern, die  unter Druck ihr Land an die Palmölindustrie verkaufen, um zum Beispiel ihren Kindern ein Statussymbol wie das Motorrad zu finanzieren. Infolgedessen arbeiten die Bauern auf ihrem ehemals eigenen Land nun als von der Industrie abhängige „Fremdarbeiter“. Ein Ende der Schlachtfelder dieser Monokulturen ist nicht absehbar, da die Welt zunehmend Palmöl braucht in Lebensmitteln und besonders in Kosmetikartikeln. Das treibt den Export an, der den Raubbau am Regenwald zur Folge hat und gewiss die Armut von Kindern. Viele der Christen unter den Indonesiern fühlen sich auch heute noch den Traditionen und Ritualen der heimatlichen Naturreligionen verbunden. Eine junge Schwester berichtet aktuell von Jugendlichen in Simpang Dua, deren Glaube nicht tief genug sei. „Immer wieder spielen ältere Stammesreligionen mit ihren Kulturen aus dieser Gegend eine Rolle, die sich mit dem christlichen Glauben und der Frömmigkeit vermengen. Fetische gibt es wohl nicht aber immer mal wieder einen Fluch.“

Religion und Kultur im Austausch

Ein offen ausgesprochener Fluch kann soziale Exklusion bedeuten, egal welcher Religion man angehört. Die Schwestern wollen soziale Bezüge stärken. Voraussetzung dafür ist die gegenseitige Wertschätzung aller Religionen des Landes. Mission bedeutet für sie zwar den eigenen Glauben öffentlich konkret zu leben. Gleichzeitig arbeiten sie aber in ihren Einrichtungen auch mit  Muslimen zusammen – ein Miteinander in Verschiedenheit, das allen dient. Einige der jungen Frauen, die heute einen ersten Schritt in die Ordensgemeinschaft setzen, stammen aus mittellosen Familien und haben unterschiedliche religiöse Hintergründe. Über 30 junge Frauen erproben aktuell, ob ihre Zugehörigkeit zu der Gemeinschaft der Schwestern eine dauerhafte Lebenswende für sie bedeuten kann, in der sie ihre Beziehung zu Gott und besonders zu den Kindern weiter entfalten können.

Erschienen in: Aachener Zeitung vom 22. Juli 2017
Dieser Beitrag wurde in Artikel, Aufsätze + Artikel veröffentlicht. Ein Lesezeichen auf das Permalink. setzen. Kommentieren oder einen Trackback hinterlassen: Trackback-URL.

Einen Kommentar hinterlassen

Ihre E-Mail wird niemals veröffentlicht oder weitergegeben. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Sie können diese HTML-Tags und -Attribute verwenden <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>

*
*

© Christoph Stender | Webdesign: XIQIT GmbH
Impressum

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen