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Eröffnung der Ausstellung „Mimikry“

Eröffnung der Ausstellung „Mimikry“ von Ulrike Donié in der Aachener Domschatzkammer am 17. Februar 2013

„Mimikry“: Wenn durch tarnen, locken oder warnen Eigenschaften vorgetäuscht werden, die tatsächlich nicht vorhanden. Dies dient dem Kampf ums Überleben. 

Kunst in Bild und Skulptur ist weitestgehend auf eine Fähigkeit des Menschen angewiesen, nämlich die, sehen zu können. Kunst lebt nicht von der Erklärung, der Deutung oder anderer Wortprothesen, sondern sie lebt von der Selbstaussage. Kunst genügt sich selbst und will nichts anderes als Kunst sein, so wie es die Kunst des Künstlers ist, Kunst zu machen.

Das gilt auch für die Bilder und Skulpturen von Ulrike Donié, die hier in der Domschatzkammer für eine begrenzte Zeit zu sehen sind.

Vor einigen Tagen eilte ich in die Domschatzkammer mit dem Ziel, die Edelsteine auf dem Lotharkreuz zu zählen. Ich ging zügig, ließ den Proserpinasarkophag links liegen, ebenso die Karlsbüste und war nach einer scharfen Linkskurve am Ziel meiner Begierde angekommen, dem Lotharkreuz.

Im vorbeigehen sah ich vereinzelt bunte Tupfer an der Wand, registrierte  „Ach stimmt ja, wir kriegen ja eine neue zeitgenössische Kunstausstellung ins Haus“, nahm aber zu diesem Zeitpunkt nur den Eindruck mit: Was für eine hübsche bunte Tapete! Verzeihen Sie, aber ich wollte ja nur die Steine auf dem Lotharkreuz zählen.

Diese kurze Begebenheit auf den gemeinen Museumsbesucher übertragen lautet: Er kommt um alte Kunst zu sehen, und ist er besonders versiert so kann man ergänzen, er kommt um mittelalterliche Kunst zu sehen.  Ob nun besonders versiert, oder eher weniger, eines haben fast alle Besucher der Domschatzkammer gemeinsam, keine zeitgenössischen Kunst zu erwarten.

Was soll das, zeitgenössische Kunst an dem zu Ort präsentieren, an dem Weltkulturerbe sich museal keimfrei tummelt?

Diese Frage werden sich viele der Domschatzkammerbesucher in den nächsten Tagen wieder stellen, wenn sie denn die Bilder von Ulrike Donié nicht für Tapete halten. Allerdings ist bei sehr vielen der so fragenden Besucher die Frage eigentlich keine Frage, auf die Sie eine Antwort erhoffen, sondern eine Aussage: Was soll denn das hier!

Gott sei Dank war ich gelassener, als ich die Steine auf dem Lotharkreuz gezählt hatte und noch alle da waren, und ich nun mit gezügeltem Tempo mich der mutmaßlichen Tapete näherte, die sich mir sehr schnell als Kunstwerk vorstellte.

Meine erste Assoziation, also das, was das Bild in meinem Kopf mit einem anderen Sachverhalt verbunden hat, versetzte mich in meine Schulzeit. Da saß ich im Biologiesaal, noch nicht wissend, kein großer Biologe zu werden, vor dem Mikroskop und schaute in die Röhre. Kleine undefinierbare Tupfen gab das Präparat auf dem Objektträger her. Irgendetwas tummelte sich da unter dem Mikroskop betrachtet. Irgendetwas tummelt sich da die Bilder Ulrike Doniés betrachtend.

Was tummelt sich da? Sind das Bakterien, ist das Leich, ein Blick auf den Meeresgrund, in den Himmel oder doch eher in ein ungepflegtes Aquarium. Was tummelt sich da für Gewürm?

Und ungefragt schlich sich eine Melodie in meinem Kopf, das Rezitativ des sechsten Schöpfungstages in Haydns Schöpfung, the Creation.

„Gleich öffnet sich der Erde Schoss
und sie gebiert auf Gottes Wort
Geschöpfe jeder Art,
in vollem Wuchs und ohne Zahl.
Vor Freude brüllend steht der Löwe da.
Hier schießt der gelenkige Tiger empor.
Das zackige Haupt erhebt der schnelle Hirsch.
Mit fliegender Mähne springt und wieh’rt
voll Mut und Kraft das edle Ross.
Auf grünen Matten weidet schon
das Rind, in Herden abgeteilt.
Die Triften deckt, als wie gesät,
das wollenreiche, sanfte Schaf.
Wie Staub verbreitet sich
in Schwarm und Wirbel
das Heer der Insekten.
In langen Zügen kriecht
am Boden das Gewürm.“

Näher hingeschaut auf die Bilder ist nichts gleich, gleich ist alles anders. Fast mit der Nase auf der Leinwand eröffnen sich Details über Details. Wenige Schritte Abstand genommen eröffnet sich gerahmte Tiefe, oder rahmenlose tiefe Weite.

Manches wirkt putzig, anderes niedlich, wieder anderes futuristisch, ist es schön oder hässlich, liebreizend oder bedrohlich, oder ist es vielleicht doch nur ein verunglückter Smiley das kleine Ding da. Und wieder anderes lässt es an barocke Deckengemälde erinnern. Eben nur etwas anders.

Eben noch so, und gleich wieder anders. Unendliche Male aneinandergereihtes „Anders“ drängen eine Botschaft auf: Eben noch und gleich nicht mehr ist Vergänglichkeit.

Schwimmt das oder fliegt es, kriecht es oder wächst es, wo ist da eigentlich oben und wo unten. Die Tiefe ist nicht wirklich tief, dass vordergründige hintergründig, gedrehtes, verdrehtes oder auch mal

aufgewickelt, nichts bleibt und das wiederholt sich ständig. Da ist was, das es gleich nicht mehr ist, Eigenschaften werden hier vermutet, die beim nächsten Blick als vorgetäuscht erscheinen.

Alles fließt? Ist es etwa das „πάντα ῥεῖ“  des griechischen Philosophen Heraklit, „alles fließt“ und ergänzt „nur das fließen fließt nicht“!

So verstanden ist die Frage von so manchen Besucher richtig: Was soll das hier? Und wer dann noch Zeit hat für den zweiten, den dritten oder den Überblick, der kann folgende Antwort finden:

Vordergründig betrachtet haben die Bilder hier nichts zu suchen, denn sie stellen eine Bedrohung dar. Diese Bilder bedrohen schon bei oberflächlicher Anwendung, Natur bedroht hier Kultur, was sonst eigentlich genau umgekehrt ist. Kleines Getier, Schmier, Bakterien, Wassertropfen, undefinierbare Belage, kleinstes Gewürm, dies sind die Todfeinde des Schatzes. Zerstören sie doch Gemälde, greifen Metalle an, durchpflügen Holzkerne, zersetzen Stoffe, greifen Pergament an.

Aber Gott sei Dank haben wir Vitrinen, Abstandshalter, Videokameras und eine richtig fette Tresortüren, die primär allerdings gegen zweibeinigen Befall schützen soll.

Aber mehr noch. Sind die Schätze des Aachener Doms nicht genau der Beleg für das Gegenteil des ständigen Vergehens, weil Sie doch belegen dass eben nicht alles fließt. Die Schätze erzählen von ewig Bleibendem, von unbegrenzt Richtigem, von unanfechtbar Wahrem,  ja dieser Schatz hält sogar Bilder bereit, die aus der Bildlosigkeit stammen.

Der Schatz, kostbar gestaltete Reliquienbehälter zur Verehrung der Heiligen.

Der Schatz, sakrales Gerät, teils mit Diamanten geschmückt, zu der heiligen Liturgie.

Der Schatz, Bilder die vom Leben Jesu erzählen und Emotionen wecken.

Der Schatz, Stoffe die uns auf Tuchfühlung gehen lassen mit dem Heiligen.

Der Schatz, von Handwerkern geschaffen ging er zur Hand dem Heiligen, nun aber fast ganz aus dem Verkehr gezogen, um ihn vor seiner eigenen Vergänglichkeit zu schützen.

Und wieder erhebt sich hier Haydns Schöpfung mit Chor mit Soli:

Chor

Singt dem Herren alle Stimmen!
Dankt ihm alle seine Werke!
Lasst zu Ehren seines Namens
Lob im Wettgesang erschallen!
Des Herren Ruhm, er bleibt in Ewigkeit!

Chor, Soli

Amen!

Aber diese Botschaft des Schatzes erschließt sich nicht in der vordergründigen Ansicht ein Schatz zu sein. Man muss schon dahinter schauen, mehrere Blicke wagen, um dem Hintergründigen des Schatzes sich  zu nähern, also den eigentlichen Schatz des Schatzes zu bergen.

Die Bilder von Ulrike Donié begnügen sich nicht mit dem vordergründig Vergänglichen, sondern verweisen auf den Hintergrund des Vergänglichen.

So stellen diese Bilder den Vordergrund dieses historischen Schatzes von Gold, Edelsteinen und perfektem Handwerk in Frage, um im hinterfragen sich der Botschaft des Schatzes anzunähern. Diese Botschaft nimmt Gestalt an in Hoffnung, Liebe, Hingabe, Glauben, Vertrauen, Vergebung, eben der Sehnsucht des Menschen nicht zu vergehen, zertreten zu werden wie Gewürm.

Die Bilder von Ulrike Donié hier im Domschatz präsent, sind die Einladung sich unseren vermeintlichen Schätzen im Leben zu stellen, und so nach unseren Schätzen des Lebens zu fragen.

Denn eines ist bei aller Vergänglichkeit auch hier gewiss, also unvergänglich! Das fließen, das nicht fließt, betrifft in gleicher Weise alle in diesen Räumen vorhandenen Kunstwerke, sie werden vergehen, ob nun Weltkulturerbe oder einfach dazu gehängt.

Damit relativiert sich allerdings auch die Verweiskraft des Schatzes und der dazu gehängten mit ihm korrespondierenden Bilder von Ulrike Donié, denn auch diese sind somit vergänglich, und vielleicht so vergänglich, dass Sie die schon wieder vergessen haben in dem Augenblick, in dem diese Schätzekammer im Begriff sind zu verlassen.

Ich danke Ihnen.

 

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