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Schmerzliche Gedanken

Eine in allen Disziplinen der Wissenschaft, die sich mit dem Thema Schmerz befassen, gleichermaßen anerkannte Definition des Begriffes Schmerz finden zu wollen ist aussichtslost, oft gibt es nur Annäherungen in Ursache und Vergleichbarkeit. Schmerz ist oft unklar.

 

Einzelne Personen oder Gruppierungen von Personen, denen in der Gesellschaft (systematisch) Schmerz zugefügt wurde, fordern von den Verursachern eine finanzielle „Gegenleistung“ für den erlittenen Schmerz, die oft bezeichnet wird als Wiedergutmachung, Abfindung oder Schmerzensgeld. Streitbar ist meist die Höhe solcher „Zuwendungen“.

 

In manchen Kulturen ist die „Antwort“ auf durch Menschen zugefügten Schmerz Rache und Vergeltung, die oft ihre Begründung findet in einer falsch interpretierten Aussage des Alten Testamentes „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ (Exodus 21,23). Mit dieser Regel ist im eigentlichen Sinne verbrieft das ein zugefügter Schaden durch gesellschaftlich anerkannte Verfahren reguliert wird (Talionsrecht) und damit die Selbstjustiz einer geschädigten Person oder Partei gerade verhindert werden soll.

 

Frauen und Männer haben in verschiedenen christlichen Epochen, auch durch kirchliche Gruppierungen angeregt, sich danach gesehnt Anteil an den Schmerzen Jesu auf seinem Weg ans Kreuz zu erlangen, indem sie sich selbst durch Peitschenschläge oder Bußgürtel Schmerzen zugefügt haben. Solche Bußrituale werden auch heute noch vereinzelt praktiziert.

 

Doch die Versuche, den Schmerz eines anderen Menschen nachzuempfinden oder sogar teilen zu wollen sind fragwürdig, wohnt ihnen ungewollt doch ein gewisser Hohn inne.

Wie kann ein Außenstehender einen realen Schmerz, den ein anderer Menschen z.B. kriegs- krankheits- oder verlustbeding erlebt, „gleich“ empfinden in einem Nachempfinden, also einem dem Schmerz „hinterher“ empfinden? Wie ist ein real erlebter Schmerz teilbar: „Du die Hälfte ich die Hälfte.“

Als Anteilnahme öffentlich zu formulieren „den Schmerz eines anderen Menschen zu teilen“ ist gut gemeint aber nicht unbedingt schmerzlindernd.

 

Auch wenn der Schmerz eines Menschen sein Gegenüber manchmal unsicher sein lässt, so verhält er sich emphatisch, im Sinne von erkennen und verstehen, dem Schmerz eines Menschen in würdigender Distanz zu begegnen und ihn nicht, wie auch immer, sich selbst einverleiben zu wollen.

In einer würdigenden Distanz lassen sich solche und ähnliche Worte finden: „Es schmerzt mich das ich dir deinen Schmerz nicht nehmen kann.“

 

Vielleicht findet eine solche Distanz in den Worten der Pfingstsequenz „Veni Sancte Spiritus“ auf den Anteilnehmenden übertrage ja auch noch weitergehende Anteilnahme: „In der Glut hauch Kühlung zu, Tröste den, der trostlos weint.“

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Haben wir (nicht) alles versucht?

Das klingt richtig wichtig: „Hört, ich habe etwas zu verkünden!“.

Wer seine Kunde so selbstbewusst ankündigt, umgibt sich fast wie von selbst mit einem kleinen höfischen Zeremoniell, vielleicht nicht gerade mit Fanfaren aber doch mit einem kleinen Trommelwirbel. Wenn man etwas zu verkünden hat, warum eigentlich nicht?

 

Förderlich für ein erstes Hinhören auf die zu verkündende Botschaft ist, wenn die Botschafterin bzw. der Botschafter eine gewisse „Attraktivität“ besitzt oder sie in der Besonderheit des Auftretens die Hörbereitschaft spontan auf sich lenkt. Immer aber muss die Botschafterin bzw. der Botschafter glaubwürdig sein und wirken, sie müssen die Hörerschaft spüren lassen selbst hinter der Botschaft zu stehen.

Zu verkündigende Botschaften kommen oft in unterschiedlichen Gewandungen daher, zum Beispiel als mediale Werbung, als Regierungserklärung, vom Familienoberhaupt als beschlossene Sache, in Diktaturen als Drohung, in Kirchen als Wort Gottes oder in Kinderzimmern als Orientierung.

 

Jede Kunde allerdings verhallt über kurz oder lang in den Gehörgängen eines Menschen, wenn sie nicht aufhorchen lässt, da in ihr verändernde und oder damit verbunden auch bereichernde Kräfte innewohnen die Menschen bewegen.

Der Verkündigung muss das Potential innewohnen auf Grund dessen der Empfänger sich selbst als Betroffener, besser als Getroffener „erwischt“. So kann Kunde beruhigen, Sicherheit vermitteln, Situationen deuten oder Orientierung geben.

Kunde kann aber auch aufrütteln, verunsichern, Hoffnungen wecken und auch so Menschen zur Bewegung motivieren.

 

Institutionen, besonders solche mit einer langen Geschichte und entsprechender Traditionen müssen sich immer wieder bezogen auf die effiziente Umsetzung ihrer Botschaft (Qualität der Produkte) hinterfragen. Das gilt auch für den ältesten Global Player, die (katholische) Kirche und ihre Botschaft.

 

Trotzdem sei die Frage erlaubt warum immer wieder neu gefragt wird wie der Glauben anders zu verkünden sei. Die Kirche hat in ihrer Geschichte doch schon so viel ausprobiert z.B. angefangen bei der „Flüsterpost“ der ersten Christen, über das Diktat der Konstantinischen Wende, die mutigen Glaubenszeugen der ersten christlichen Jahrhunderte, Zwangstaufen der Sachsen, Reformation, II. Vatikanum, Würzburger Synode bis hin zu den „synodalen“ Wegen in der Gegenwart der katholischen Kirche.

Was soll da noch Neues entdeckt werden, Kirche hat doch schon alles versucht.

Aber: Vielleicht nicht als ganze Kirche, wohl für Einzelne auch in kleiner Gemeinschaft in der Kirche gäbe es eine Möglichkeit „Neues“ zu entdecken und deshalb diese Empfehlung: Lassen Sie diesen Text noch etwas auf sich wirken.

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Wie leer ist Leer

Es ist Ansichtssache, ob ein Glas halb voll ist oder halb leer. Streiten lässt sich über die Frage, was in einem leeren Blick nicht mehr vorhanden ist. Auch ist die Frage bedenkenswert, was ein leerer Raum beinhaltet.

 

Selbst der Beginn des Schöpfungsberichtes (1.Mose 1,2) „und die Erde war wüst und leer“ lässt Spekulationen zu, was der Begriff leer in diesem Zusammenhang bedeuten könnte.

Das mit der leeren Keksdose hatte mich als Kind tatsächlich überzeugt. Wenn ich meine Oma, was selten vorkam, nach Plätzchen fragte und sie manchmal nicht nur sagen musste die Keksdose sei leer, sondern die leere Dose auch vorzeigte, versiegte jedes Argument Plätzchen aus dieser Dose haben zu wollen in ihrer Leere.

Gutheißen konnte ich das nicht aber verstanden habe ich schon damals, dass in einer leeren Dose keine Plätzchen sein konnten!

Jedoch nicht nur in dieser Situation habe ich es als Verlust empfunden, dass etwas leer ist, und mich gefragt, was leer wirklich bedeutet, beziehungsweise wie Geleertes wieder aufgefüllt werden könnte. Was die Keksdose betraf, lag die Antwort erfahrungsbezogen auf der Hand. Oma musste wieder zum Werksverkauf (Outlet) von Bahlsen (Hannover) gehen und Nachschub zum Auffüllen besorgen.

Doch die Kindheitserinnerungen an leere Keksdosen beziehungsweise an all das, was sich nachfüllen lässt decken nicht ab was der Begriff leer noch hergeben kann.

 

Die Herkunft des Wortes leer ist nicht eindeutig zu klären. Nahe liegt die Deutung, dass dieser Begriff seine Herkunft in dem Adjektiv „lesen“ im landwirtschaftlichen Sinn verstanden hat, „etwas ist zu lesen“ so ein abgeerntetes Kornfeld, das zur Nachlese freigegeben ist. (Vgl.: Kluge, 23. Auflage)

Obwohl also die Ernte eingefahren ist, gibt es auf dem abgeernteten, dem „leeren“ Feld doch noch etwas nachzulesen, einzelne Ähren und Körner einzusammeln, bevor das Feld dann wirklich leer ist.

 

Der wohl bekannteste „leere“ Ort, in dem eine gewisse Fülle erwartet wurde, ist in der biblischen Überlieferung das Grab Jesu. Für die ersten Frauen und Männer, die sich der Leere des Grabes ausgesetzt wussten, war mit dieser Erfahrung von Leere scheitern verbunden. Diese Leere wurde empfunden als enttäuschte Hoffnung, eine Hoffnung, die in der Leere des Grabes verschütt ging.

Leere aber erschließt sich nicht unbedingt im nicht mehr vorhanden sein dessen, was „davor“ als nicht leer angesehen, erlebt oder definiert wurde.

Lehre kann mehr beinhalten oder auf mehr hinweisen, wenn wir uns nicht fixieren lassen auf das zu erwartende.

 

Wer sich nicht steuern lässt von dem, was es zu erwarten bzw. anzunehmen gilt, dem kann so die Möglichkeit eröffnet werden zu sehen, was nicht Nichts ist.

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Helfen in Maßen ohne Eile

„Not lehrt beten“ – eine stille Erfahrung, die zur Redensart wurde. Gerade mit den Erfahrungen von Krieg in Europa, von Flutkatastrophen, Erdbeben, Feuersbrünsten und Inflation wird die Not von Menschen öffentlich zur Geburtshelferin eines ähnlichen Satzes „Not lehrt helfen.“

 

Die Not wird zu einer Lehrerin. Doch was ist diese uns belehrende Not? Die jüngsten katastrophalen Überschwemmungen z.B. in Italien, aber auch im Ahrtal und in der Eifel haben Menschen in diesen Regionen in Not versetzt, doch nicht bei allen Betroffenen war die Not die gleiche. Ohne Not schmälern zu wollen, so ist sie doch differenziert wahrzunehmen.

Gerade die für alle offensichtliche Not, wie der Verlust eines Menschen oder eines Wohnhauses durch eine Flutwelle, bitte, mit nichts möchte ich diese Not schmälern, birgt auch die Gefahr „kleinere“ oder unscheinbarere Nöte zu übersehen oder zu relativieren, die für Betroffene aber auch Katastrophen sind.

 

Die unterschiedliche Wahrnehmung von Not und ihr subjektives Erleben erfordert genau auf jede Notsituation zu schauen, unabhängig ob sie viele oder nur einen Menschen betrifft.

 

Neben Notsituationen, die durch große Katastrophen entstehen, begegnen uns täglich „kleine“ Notsituationen, auf die wir oft „routiniert“ reagieren.

Einen Euro in die Mütze geworfen, ein Getränk neben den Joghurt-Becher mit Kupfergeld gestellt, ein belegtes Brötchen hingehalten und wenn ein Hund mit zum Ensemble gehörte, dann noch 50 Cent extra für Hundekuchen. Andere gehen zumindest äußerlich unbeteiligt an bettelnden Menschen vorbei, manche weil sie wissen, dass es ja in den Städten soziale Einrichtung gibt, die beispielsweise nicht Sesshafte drei Mal täglich mit einem Essen versorgen, und oft auch ein Nachtlager anbietet. Welche Hilfe lehrt diese Not?

 

Eine Erinnerung. Ein alter Mann so um die 75 / 80 sitzt inmitten einer Fußgängerzone angelehnt an einen Poller mit geöffneten auf den Knien liegenden Händen. Der Mann trägt einen grauen, etwas schmuddeligen Anzug mit breitem Revers, ein verwaschenes weißes Hemd mit einer kundig gebundenen Krawatte. Er sitzt da, den Kopf geneigt. Will er den Passanten so erzählen, daß es ihm früher besser ging und er unglücklich in Not geraten ist, oder ist der Anzug aus längst vergangenen Zeiten eine äußere Wertschätzung besonders für den Vorübergehenden, der ihm etwas in die Hand gibt.

Ich hätte fragen können was ihm hilft, aber ich war in „Eile“. Schon die Frage zu stellen „was hilft Ihnen“ ist wertschätzend.

Zu helfen bedarf eben auch der Interpretation und der Einordnung der Not, der Einschätzung der eigenen Kräfte und ein nicht in Eile Sein.

Einfach zu helfen ist oft nicht einfach, aber eine Ausprägung des Menschlichen.

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Dann hat ihn Gott so gemacht!

Die Mutter war in einer katholischen Eifelgemeinde sehr engagiert. Ihr Sohn Bernhard ist schwul.

Diese Mutter hat mir vor über 25 Jahren diesen Gedanken anvertraut: „Ich habe Bernhard nicht so gemacht, er hat sich so nicht gemacht, also hat ihn Gott so gemacht.“

Klingt einfach, zu einfach? Mit dieser gewachsenen Erkenntnis begann Bernhards Mutter nicht nur das schwul Sein ihres Jungen zu akzeptieren, sondern es auch als eine Gabe aus Gottes Hand anzunehmen.

Gegenüber einer Mutter, die so denkt, schütteln auch heute noch viele mit dem Kopf.

Immer noch wird im Schöpfungsbericht die biblische Erzählung „als Mann und als Frau schuf er sie“ exklusiv als Argument „gegen“ verstanden. Besonders dort wo eher eine „ein – fache“ Interpretation gepflegt wird, werden Personen wie Bernhard mit diesem als unschlagbar geltenden Argument verbal verurteilt.

Was ein Mensch empfindet zu sein, jenseits von Heterosexualität, ist von Gott nicht gewollt, bestenfalls eine göttliche Panne; so die Denke vieler Menschen, heute unterschiedlich verdichtet in den Kulturen.

Auch die offizielle Lehre der Kirche betreffend irren die Menschen, die sich in ihrem Anders sein froh annehmen wollen.

Die Gotteswortverwalterin Kirche steht nicht an der Seite von Personen wie Bernhard und dessen Mutter.

Kurze Unterbrechung: Es ist klar, dass in diesem Zusammenhang von „der Kirche“ als die Summe der Gläubigen zu sprechen nicht ganz der Realität entspricht, da es zu diesem Thema besonders zwischen Lehramt und Wissenschaft in der Kirche diverse Meinungen und Haltungen gibt.

Weiter: Kirche hat sich arm und schuldig gemacht, auch wenn sie im Katechismus von der Achtung und dem Takt den anders empfindenden Menschen gegenüber spricht, um im selben Atemzug zu empfehlen, ihnen mit Mitleid zu begegnen.

Kirche muss sich heute fragen lassen, ob sie nicht über Jahrhunderte Schuld auf sich geladen hat, da sie dieses „also hat ihn Gott so gemacht“ auch leben zu wollen als nicht gottgewollt kategorisiert.

Kirche, die sich immer wieder auf die „Bettkante der Menschen setzt“, hat in der Gesellschaft mit dazu beigetragen, Sexualität zu richten und zu normieren und damit jene verletzt, die sich nicht normieren ließen und lassen.

Da helfen auch Regenbogenfahnen eher wenig, die zum Sonderpreis im 10er Pack angeboten seit wenigen Monaten an Kirchtürmen, Pfarrhäusern und Gemeindezentren aufgehängt flattern. So eine Fahne hinzuhängen ist leicht. Verbal aufgehängte Menschen wahrhaftig -Wahrhaftigkeit- abzunehmen, bedeutet Bekenntnis und Einsatz.

Der Regenbogen ist ein altes Bild für den Bund, den Gott mit allen Menschen geschlossen hat, und der keinen ausschließt, nur weil er entdeckt und lebt, was für eine Gabe er ist.

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Tourismusseelsorge

Warum entfernen sich Menschen von einem vertrauten Ort, nur um in Kürze bewusst dorthin wieder zurückzukehren, von wo sie aufgebrochen sind?

Es sei der Reiz der Abwechselung, lautet oft die Antwort.

Andere Luft, Landschaft, Menschen, andere Genussmittel. Raus aus der eigenen Haut, die Sau rauslassen, alles bis zum Abwinken, Adrenalin, Grenzen austesten, Naturgewalten trotzen. Kopf frei, andere Gedanken, Inspiration, fremde Sprache, Kultur und Lebensart.

Suchen auch Sie solche Abwechslungen oder ticken Sie anders?

Wie auch immer, jeder Urlaub hat sein absehbares Ende, das in jedem Urlaubstag, wenn auch gerne übersehen, mit dem altvertrauten Ort winkt.

Das Hauptziel des Urlaubs besteht darin, die am vertrauten Ort verlorenen Kräfte fernab wieder zu finden, zu beleben, nur um sie dann – zurück an altem Ort – allmählich wieder zu verlieren.

Urlaub bezeichnet für Arbeitnehmer und Beamte eine legitime Zeit des Fernbleibens vom Arbeitsplatz, obwohl eigentlich Leistung zu erbringen wären.

Doch der Urlaub kann, sein Ende je vorgerückter weniger abwendbar, zum Vehikel der Idee werden, dem Vertrauten andauernd fernbleiben zu wollen. So wie von Kafka im „Aufbruch“ ins Wort gebracht, in dem der Herr auf die Frage des Dieners, „wohin er reite“ antwortet: „Ich weiß es nicht, nur weg von hier, nur weg von hier…“

 

Darf es in einem „normalen“ Leben, gebunden an Familie, Broterwerb und Verpflichtungen, überhaupt diese kafkaesque Stimme geben: „Immerfort weg von hier, nur so kann ich mein Ziel erreichen.“?

Darf eine Stimme im Menschen laut werden, die der Funke sein könnte, eine gewachsene Sehnsucht zu entfachen? Und dann, wenn sie entflammt, was dann? Löschen oder brennen und erlöschen lassen?

 

Für mich tritt mit dieser „Stimme“ auch eine große Persönlichkeit des Alten Testaments hervor, Abraham. Er ist nicht der Typ des „hin und her“ Reisenden, sondern ein Mensch, der bewusst Auszeiten zulässt, um für sein Inneres empfänglich zu sein.

Seine innere Stimme fordert ihn auf, die Äußerlichkeit, den vertrauten Ort zu verlassen und sich in der Fremde, an unbekanntem Ort niederzulassen. Abraham deutet, was er in sich hört, als Stimme Gottes, und tatsächlich belegen biblische Berichte die außergewöhnlichen Erlebnisse Abrahams an neuen Orten.

Ob nun Kafka oder Abraham, ob eine Stimme identifiziert wird oder auch nicht, in sich hineinzuhören lässt aufhorchen. Dazu ist kostbar, für diese innere Stimme empfindsam zu sein, denn sie ist mehr als bloße Stimmung oder Einflüsterung. Sie hat im Laufe der Zeit an Stärke gewonnen und sich Gehör verschafft. Und wenn, was dann? Nur weg von hier? Nein, sondern die Stimme gerade am vertrauten Ort zum (Nach-) Klingen bringen, um dann zu hören, neu zu horchen.

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Tanz auf deinem Parkett

Es gab einmal eine Zeit, so wird erzählt, da konnte Worten Glauben geschenkt werden.

Die Ehrlichkeit der Worte war ein Wert. Glaubwürdigkeit war eine Tugend. Ehrliche Gespräche bildeten Räume einer verlässlichen, einer der Wahrheit verpflichteten Kommunikation, die so zu kleinen Wandelhallen ungelogenen Lebens wurden. Da musste nicht betont werden „du kannst meinen Worten trauen“, da waren Worte treu!

Wann gab es diese Zeit, werden Sie nachsinnen; wo ist sie, wo ist sie geblieben?

Heute gibt es fast nur noch Ruinen ehrlicher Worte, in denen die Unzuverlässigkeit anderer Worte Räume wie Pfahlbauten aufrichtet. In ihnen sind Worte, durch Menschen Mund angebunden, von übersichtlicher, und wer es hören will zwielichtiger Wahrheit. Der Rest ist trüber Face, nur tauglich für Wortmüllberge, aber gegen jede Vernunft dazu bestimmt, heute wahr zu sein zu haben.

Die Ballsäle sind geschlossen, in denen haltvolle Worte Leben tanzten.

 

In solchen Räumen wie Pfahlbauten hat Glauben, insofern er nicht zu marschieren hat, wenig Chancen.

Der christliche Glaube vermittelt sich durch das Wort, dieses Wort aber braucht das gewisse „Plus“, den Raum, in dem Wahrhaftigkeit atmen kann.

Der Glaube kommt vom Hören (Vgl. Röm 10,17f). Sein „Plus“ aber ist ein Blick in die Augen dessen, der spricht, ein Spüren wie der sich anfühlt, der spricht, ein achten auf den Herzschlag dessen, der spricht.

Glaube entfaltet sich nicht in solchen Pfahlbauten, Glaube will tanzen, Leben tanzen vor Gott.

Dem Glauben Raum geben bedeutet nicht dogmatische Sätze an die Wand zu nageln, um ständig auf dieselbe Tapete zu starren.

Raum des Glaubens entsteht da, wo der Glaube ins Gespräch gebracht wird, wo der Zweifel nicht an Wänden abprallt, wo suchen nicht gleichbedeutend ist mit Unordnung und in dem auch Platz ist für einen Glauben, der auf wackligen Beinen steht.

 

Glaube braucht den Raum, in dem er sich ertanzen kann und nicht wie ein Bild, von einer Wand auf die andere gehängt wird.

Räume, in denen der Glaube tanzen kann, sind eine Einladung für Raumausstatter, gläubige Menschen, die vor uns waren und noch mit uns sind. Es können heilige Frauen und Männer sein, unbequeme Freundinnen und Freunde Gottes, aber auch ganz anders Normale.

Vor- bilder können sie sein und mir Schritte zeigen, die helfen auf dem Boden „ich“, ob Parkett, Teppich oder Auslegeware meinen Tritt zu finden.

Dieser Boden ist Fundament, auf dem ich umgehe, verhandle und abwäge meine Stärken, meine Sexualität, mein Engagement, mein Scheitern, meine gesellschaftliche wie politische Haltung; ein Um – gehen all dessen also, was mich bewegt.

Auf solchem Parkett kann ich Gastgeber sein und fragen: „Darf ich um einen Tanz bitten?“

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Synodalität: Das Runde in das Eckige

Wetten: Wird die zweite Sitzung der XVI. Ordentlichen Generalversammlung der Bischofssynode wieder an runden Tischen stattfinden? Wird der einzige Stuhl an diesen Tischen mit einer Lehne, der des Papstes sein?

 

Ich würde schon deswegen ja wetten, da das frühere Bild einer Sitzordnung, hintereinander in Reihen und vorne die Entscheider, die Abbildung der synodalen Rolle rückwärts wäre. Doch Rundes und ein bisschen Lehne machen noch keine synodale Rolle vorwärts. Damit ist ein Grundproblem des Synodalen berührt, was bedeutet eigentlich vorwärts?

 

Angenommen ich würde aus der Entfernung, nicht in Rom sitzend, wetten und gewinnen, was wäre mein Gewinn?

Die Frage, was es zu gewinnen gibt, stellen sich aber auch diejenigen, die um die Tische herum, also nahe dran sitzen. Was gibt es an den Tischen und insgeheim auch zwischen den Tischen zu gewinnen?

 

Die Gewinnerwartung vor Ort ist verschieden, ebenso die Erwartung derer, die weltweit an den Tischen sich vertreten wissen, zumindest hoffen, oder auch nicht.

 

Für alle, die am Gewinn beteiligt sein wollen, scheint mit dem Titel dieser Versammlung der Preis zu winken: „Für eine synodale Kirche: Gemeinschaft, Teilhabe und Sendung.“

 

Stellen Sie sich vor, sie gewinnen: Die Ordination der Frau, eine gemeinsame Bistumsleitung von Bischof und Laien, die Relativierung des Zölibates, oder eine neue Sexuallehre. Aber, Sie mögen diesen Gewinn nicht, was dann?

Gibt es die Gelegenheit den Preis einzutauschen für: Ein nur soziales Diakonat der Frau, gemeinsame Beratung der Diözesanen mit Machtwort des Bischofs, etwas Viri probati und eine Sexualmoral, in der das mit den Tauben auf den Kirchenstufen noch stimmt.

 

Absehbar Antworten auf Fragen nach Gewinn und Gewinnern in der einen heiligen katholischen und apostolischen Kirche zu finden ist sehr sportlich, weil: Da muss das Runde in das Eckige.

 

Doch jene die lostreten und die, die zu halten versuchen sitzen zwar an einem Tisch, auch an einem runden, aber wollen die wirklich zusammensitzen, dürfen sie das, können sie es?

 

Was kann in dieser Gemengelage gelistet werden?

Vielleicht kann man (und auch Frau) den Junioren der C-Klasse im Fußball etwas abgewinnen, und wie sie ein Gefühl dafür bekommen, was eckig ist und was rund, und wie es zueinander passt, und das Tore machen und Tore halten einem Mannschaftsgeist entspricht.

 

Ok, Einwand berechtigt, das Miteinander aller in der Kirche ist kein Spiel, da sollte es ja auch keine Gewinner und Verlieren geben.

Vom Sportlichen aber könnten sich die synodalen Männer, Würdenträger, Entscheider und die Hand voll Frauen inspirieren lassen. Konkret vom Trikottausch, allerdings am Spielbeginn, mit dem selbstverständlich kein Spiel beginnt.

 

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Und Gott sprach: Na, wer bist denn du?

Während der Mensch, von welcher Weltmacht auch immer ins All geschossen, den blauen Planeten streichelt, stellt sich uns die Frage: Würde der Erde etwas fehlen, gäbe es unsere Spezies nicht?

Zu dumm, dass die Erde keine Antwort gibt, so scheint es uns zumindest, den „Kulturwesen“.

 

Was wäre, wenn der Schöpfungsbericht mit diesen Worten geendet hätte: „Dann sprach Gott: Das Land bringe alle Arten von lebendigen Wesen hervor, von Vieh, von Kriechtieren und von Tieren des Feldes. So geschah es. Gott machte alle Arten von Tieren (…). Gott sah, dass es gut war.“ (Gen 1,24f)

Damit Schluss in Sachen Schöpfung, es war doch gut! Den folgenden Akt Gottes hätte es dann nicht gegeben: „Lasst uns Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich. Sie sollen herrschen…“ (Gen 1,26)

Hätten die Tiere des Feldes, das Vieh und die Kriechtiere auf dem Erdboden, sich beschwert: Hallo da oben, so geht das nicht, da muss doch noch der Mensch her? Nein, sicher nicht; wie auch, sie wussten doch nichts vom Menschen, wie sollte ihnen da etwas fehlen?

 

Tiere, Pflanzen und Co. brauchen den Menschen nicht wirklich. Für sie ist er entbehrlich, verzichtbar, einfach unnütz. Der Mensch stört diese Natur.

 

Schmerzt diese Feststellung des Menschen Selbstverständnis? Während wir uns die Krone der Schöpfung, vor uns verneigend, unablässig selbst aufsetzen, käme wohl nur ein Phantomschmerz in Betracht.

 

Gesetzt den Fall aber, Gott wäre nach der Schöpfung der Tierwelt – die fand er ja bereits gut- einfach gegangen, das All ist ja groß genug, während still – in Raum und Zeit- unbemerkt vom Schöpfungswillen Gottes der Zufall zugelangt hätte und den Menschen Stufe um Stufe entwickelt hätte, durch viel Fleisch essen für das Gehirn und ein bisschen aufrechten Gang üben Jahrtausende lang, was wäre dann? Mensch ja, aber Gott ohne Abbild?

Klar, alles nur Spekulation!

Nun, es hätte ja auch so weitergehen können: Gott wäre auf seinen Ausschweifungen über das Zufallsprodukt seiner Schöpfung, den Menschen, gestolpert: „Na, wer bist denn du?“ Und er würde dann den Menschen beobachten, hören wie er sich veräußert, ihn riechen wollen, sein Verhalten zueinander studieren und er würde ihn liebgewinnen.

Gott, von seinen Gefühlen überwältigt, würde sagen: Mensch, ich habe dich nicht kommen sehen, aber ich liebe dich, du bist mir so ähnlich, du wunderbare Krone meiner Schöpfung, ich passe auf dich auf.

Gott wäre mit seiner Liebe zum Menschen so inmitten der Welt, nicht weltfremd! Gott ist klar, Liebe bringt auch Angst zur Welt. So streichelt er den Menschen über den Kopf; und Gott sprach: „Geliebter Mensch, du bist auf dem besten Weg dich selbst abzuschaffen!“ Klar, Fiktion? Aber wie passen Mensch und der „Rest“ zusammen?

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Alt und Himmel üben

Gerade in den Bus eingestiegen schaut eine junge Frau mich an, steht auf und bietet mir ihren Platz an. Da wurde ich zum alten Mann.

Alt werden macht keine Freude, sagte meine alternde Mutter, denn immer schwerer wurden ihre händischen Lebensmitteleinkäufe für uns, die Familie. Mit über 70 Jahren „trug“ mein Vater dauerhaft einen Stützverband am rechten Daumen. Kürzlich traf ich eine „alte“ Freundin, fast 40 Jahre kennen wir uns, ich glaubte sie sei gealtert.

Was wird an mir wohl zuerst alt, frage ich mich, obwohl alles an mir noch funktioniert, wie ich meine.

Ein Werbespruch für eine Zahnpasta prahlt „speziell für reife Zähne“, also für die, die bald runter oder besser rausfallen, aber was juckt das meine Implantate?

Zugegeben, mein Konsum – jüngst an Ginko, einem Nahrungsergänzungsmittel, das angeblich Gedächtnis und Konzentration fördert – ist gestiegen und ich merke auch schon was.

Ändert sich im Älterwerden die Vorliebe für Farben, weg von gedeckten Farben hin zu grellem Bunt?

Lockert älter werden die Zunge? Wächst im Altern die Sehnsucht nach Wahrheit? Ist die Reflexion des eigenen Lebens genauer, oder der Rückblick altersbedingt nur großzügiger? Wann bäumt sich die Frage nach den verbleibenden sozialen Kontakten existentiell auf, oder rüttelt mit ihr nicht schon längst gegenwärtige Einsamkeit an der morschen Lebenstüre?  

Die Haut, sie ist der Markt, auf dem die anderen schätzen, ich aber im Umherschauen mich frage: Hätte sie mehr gestreichelt werden wollen, mehr Organ sein für Nähe und Geborgenheit?

Viele Menschen lassen an ihrer Haut von chirurgischer Hand rumzerren, aber wahrhaft ändert sich nichts nachhaltig, schrumpelig bleibt schrumpelig. Wie auch immer: Habe ich Haut gezeigt, mich gehäutet, mir etwas unter die Haut gehen lassen, oder meine Haut zu Markte getragen?

Und, sind die hier sehr starken biographischen Akzente ein Indiz dafür alt zu werden, oder schon geworden zu sein?

 

Das alles und vieles mehr nur meine „Wahr-nehmung“? Oder alles wie wahr! Ähnlich fragte schon Pilatus. Eines aber ist, wie wahr, Wahrheit: Altsein hat ein Ende! Gott sei Dank. Aber, klingt das nicht zu positiv?

 

Die wachsende Nähe im älter werden zum Reich Gottes führt mich, genannt Christ und Priester, wie jeden Christenmenschen vor die Frage, glaube ich an mein, über die alternde Zerbrechlichkeit hinaus, aufgehoben Sein in Gott?

Auch Priester, zumindest in unseren Breiten, sind an die Annehmlichkeiten das irdische Leben gewöhnt, aber nicht gewöhnen konnten wir uns bisher an den Himmel, an das himmlische oben schon unten. Ist das ein Skandalon, erfahren in Sachen Erde, unglaublich unerfahren in Sachen Himmel? Da hilft nur eines: Üben, üben und nochmals üben!

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