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Vom Wort abgelenkt

Da lesen Sie in der Heiligen Schrift oder hören im Gottesdienst einen biblischen Text, z.B. den von einem neu angelegten Weinberg, seinem Besitzer und dessen Pächtern.

Im Hören zieht diese Erzählung Sie weiter hinein in das Geschehen, in die Arglist und Brutalität, mit der die Pächter die Knechte des Besitzers verprügelten, steinigten und den Sohn des Besitzers sogar ermordeten, um die Pacht nicht zahlen zu müssen.

Und Sie lauschen interessiert weiter dem Verlauf der Erzählung, wie z.B. der Weinbergbesitzer wohl reagieren wird.

So verhalten Sie sich aufmerksam, wie es zumindest im Gottesdienst von der „Hörgemeinschaft“ erwartet wird, und wie es auch Kindern vor der Katechese im Familiengottesdienst wärmstens empfohlen wird, „doch bitte genau hinzuhören“.

Ganz plötzlich aber stolpern Sie über „etwas“, das Sie innerhalb des Textes auf einmal von diesem Text ablenkt. Der weitere Verlauf der biblischen Erzählung plätschert an Ihnen vorbei, während sie primär einem Gedanken nachgehen, angestoßen von „etwas“ eben im biblischen Text gehörten. Sie gehen nun Ihrem eigenen Gedanken nach, treten vielleicht in eine andere Welt ein oder kommen von einer anderen Seite in der eigenen neu an, während die weitere Erzählung an Ihnen ungehört vorbeizieht.

Öfters bleibe auch ich besonders im Hören biblischer Texte „ausversehen“ an so einem „etwas“ hängen. So zum Beispiel während ein Diakon im Gottesdienst aus dem Markusevangelium vorlas: „Zuletzt sandte er seinen Sohn …“ (Mt 21, 37).

Der Fortgang der Erzählung trat bei mir nun in den Hintergrund, da ich mich fragte: Wer könnte eigentlich an meiner statt meine Haltung, Meinung oder mein Interesse sichern? Wem würde ich zutrauen oder zumuten in meinem Namen zu sprechen? Wer könnte zumindest halbwegs meinen Platz einnehmen, mich vertreten und als solcher auch von anderen akzeptiert werden?

Ein Fazit auf mich bezogen: Wie ich kann keiner sprechen, aus meinem Verstehen und Fühlen heraus kann keiner argumentieren, an meine Stelle treten geht nicht, da stehe ich und sonst keiner, geht auch nicht anders! Aber: In meinem Namen zu sprechen, „zuletzt sandte er seinen Sohn …“, da wüsste ich jemanden, zugegeben nicht viele, vielleicht nur einen, so mein Gedankengang…

Biblische Erzählung hat das Recht gehört zu werden, so wie ich als Hörer das Recht haben, mich durch sie selbst von ihr ablenken zu lassen.

Hallo geneigter Leser, hörende Leserin, sind Sie noch da, oder sind Sie etwa an „etwas“ hängengeblieben, das diesen Text schon längst zur Nebensache hat werden lassen?

Erschienen in: Anzeiger für die Seelsorge 10/2018 „Wortgewand“ 
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