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Bildung ist Lebensqualität, die nicht bezahlbar ist, aber in die investiert werden muss

Ansprache im Hochschulgottesdienst der Katholischen Hochschulgemeinde in Aachen am 16. Juni 2002

“Das Leben jedes einzelnen Menschen und die Zukunft der Gesellschaft werden entscheidend durch das Bildungswesen beeinflusst. Weil die Kirche mitverantwortlich ist für das Leben der Menschen und die Zukunft der Gesellschaft, muss sie an der Entwicklung des Bildungswesens mitwirken.” (1)

“Antrieb und Maßstab für ihr spezifisches Denken und Handeln im Bildungsangebot findet die Kirche in dem, was der Glaube über den Auftrag des Menschen in der Welt sagt. Hat sie sich an diesem Maßstab geprüft, so darf und muss sie im gleichen Geiste auch kritisch-anregend die bildungspolitischen Entwicklungen in Staat und Gesellschaft begleiten.” (2)
(1 + 2) Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland, 1976 Verlag Herder, Freiburg

Mit dem Artikel 12, Abs. 1 des Grundgesetzes verpflichtet sich die Bundesrepublik Deutschland gegenüber ihren Bürgerinnen und Bürgern, die Möglichkeit zu geben, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Dabei darf niemand auf Grund seines sozialen Status’ einen Nachteil haben, denn die Chancengleichheit beim Zugang zu den Bildungseinrichtungen ist ebenfalls in unserer Gesetzgebung verankert.

Bund und Länder haben in diesem Sinne Sorge dafür zu tragen, dass die Basis der Persönlichkeitsentwicklung des einzelnen Menschen, die wesentlich im Dienst am Wohle unserer Gesellschaft steht, jedem frei zugänglich sein muss. Das bedeutet die Gewährleistung von Bildung, die eine qualifizierte Entfaltung des Lebens der Menschen in seinem beruflichen Handeln ermöglicht. Wo diese gefährdet scheint, erheben auch wir als Kirche an den Hochschulen unsere Stimme.

Staatlich gelenkte, bildungspolitische Entscheidungen, die das Grundgut des Menschen, den Zugang zu berechtigter Bildung, reglementieren, stehen in der Gefahr, der Gesellschaft zu schaden, der sie dienen sollten.

In der momentanen Diskussion um die Einführung von Studiengebühren ist anzumerken: Wenn zu jedem Semesterbeginn Gebühren erhoben werden, damit Studierende ihr Studium aufnehmen oder weiterführen können, dann bezahlen sie faktisch für den Zugang zur Universitäts- oder Fachhochschulbildung. Welchen Namen diese finanzielle Zwangsabgabe auch immer haben mag (“Immatrikulationsgebühr” oder “Rückmeldegebühr”) – wenn sie denn in NRW eingeführt wird – dieses Instrument bleibt das einer gekauften Lizenz zum Studieren.

Der Ministerpräsident von NRW scheint nicht müde zu werden, diese finanzielle Aufwendungen als einen Ausgleich von Verwaltungskosten zu betrachten und eine solche Praxis als normal darzustellen. Es sei Gewohnheit, beim Erhalt von Ausweis oder Reisepass zu zahlen. Allerdings übersieht er hier, dass der Ausweis als solcher den Menschen nicht zu einem Bundesbürger macht, sondern diese von Rechten und Pflichten gekennzeichnete Tatsache durch einen Ausweis lediglich belegt wird.

Eine Rückmeldegebühr hingegen markiert zu Semesterbeginn den Zugang zu Bildung, die die Studierenden berechtigt, berufsqualifizierende Abschlüsse zu erwerben, an deren Ende die Absolventinnen ihre Graduierungen erhalten.

Die analoge Gebühr zum Personalausweis im Vergleich von Herrn Clement wäre hier die Gebühr zur Ausstellung des Diplom- oder Magisterzeugnisses, nicht aber eine Zwangsabgabe zu Beginn eines jeden Studiensemesters.

Sicher gibt es Studierende, denen der Erwerb einer solchen Eintrittskarte für die Hörsäle in Höhe von ca. 50 Euro pro Semester nicht sonderlich schwer fällt. Sie können allen pekuniären Mehrbelastungen des Studiums dank solventer Elternhäuser sorglos ins Auge schauen. Diesen Vorteil aber haben immer weniger Studierende, ganz zu schweigen von den ausländischen Studierenden in Deutschland.

Soll berufsqualifizierende Bildung immer mehr zu einer käuflichen Ware werden? Auch wenn die angestrebte Einführung von Immatrikulations- und Rückmeldegebühren flankiert würde von punktuellen Härtefallregelungen, könnten sich zukünftig nur noch einige ein Studium leisten, andere aber eben nicht mehr. Die Erfahrung lehrt, wenn einmal Gebühren für Bildung eingeführt sind, dann werden sie immer wieder auf Grund von sich ändernden Sachzwängen angeglichen und somit in der Regel erhöht werden.

Höhlen Gebühren für ein Studium nicht auch den politischen Willen aus, Bildung an der Hochschule als ein Gut zu betrachten, welches dem Menschen unabhängig von seinen sozialen Möglichkeiten zusteht und ermöglicht werden muss? Der Verweis darauf, das in anderen Bundesländern eine solche “Gebührenregelung” bereits Gang und Gäbe ist, macht diese Praxis deswegen noch nicht besser.

Neben “normalen” Studierenden nimmt die Landesregierung auch sogenannte “Langzeitstudierende” ins Visier und plant, sie mit einer Studiengebühr in Höhe von 650 Euro pro Semester zu belegen.

In der Mitteilung des Landespresse- und Informationsamtes vom 10. Juni 2002 steht wie folgt zu lesen: “Insbesondere die Baden-Württembergischen Erfahrungen berechtigen zu der Erwartung, dass Studiengebühren für Langzeitstudierende in der Regel zu einem stringenteren und ergebnisorientierteren Studium veranlassen. Solche Gebühren sind ein zukunftsbezogenes Steuerungsinstrument, das die Hochschulen entlastet und der Volkswirtschaft Vorteile bringen wird. (…) Das gilt auch für den zu beobachtenden Effekt einer Bereinigung der Zurückweisung sogenannter Trittbrettfahrer, die sich an den Hochschulen nur einschreiben, um Vergünstigungen von der Krankenversicherung, ein Semesterticket und sonstige Ermäßigungen zu erhalten…”

Grundsätzlich zu meinen, es gäbe keine Trittbrettfahrer unter den Studierenden, die nur die Vergünstigungen nutzten, aber nicht das Studium, ist blauäugig. Es gibt sie tatsächlich.

Wer allerdings behauptet, auch die seien Trittbrettfahrer, die die Regelstudienzeit um mehr als vier Semester (bei Kurzstudiengängen um drei Semester) überschreiten, weil sie ihren Lebensunterhalt verdienen müssen, vernachlässigt sträflich die Lebensbedingungen heutiger Studierender. Es geht doch darum, das Studium interdisziplinär in den Blick zu nehmen, Sprachen zu vertiefen, sich gesellschaftlich, religiös oder sozial zu engagieren. Darüber hinaus führt so manche Prüfungsordnung zu Zeitverlust, zwingen familiäre Gründe vorübergehend dazu, Zeit anders zu bündeln oder aber es wächst die Erkenntins, dass das begonnene Studium den Fähigkeiten nicht entspricht und diese nur in einem anderen Studiengang entfaltet werden können.

Soll die angedachte Gebühreneinführung nur dazu dienen, “Fachidioten mit Verfallsdatum” zu produzieren, die gut zahlen und sich keineswegs über das Studienfach hinaus engagieren? Solche Pläne stünden jenseits studentischer Lebensrealität und wären in keiner Weise zukunftsorientiert.

Hochschulbildung muss – politisch gewollt – frei von finanziellen Zugangsbedingungen bleiben. Belangt werden müssen die, die bewusst täuschen, die vorgeben, zu studieren, um sich so die den Studierenden vorbehaltenen Erleichterungen zu erschleichen.

Mit diesen Gedanken ist nicht die gesamte Palette der mit dieser Problematik verbundenen Fragestellungen abgedeckt. Hier wäre z.B. auch noch nach einer Ausweitung der Studienberatung zu fragen sowie nach qualifizierteren Entscheidungsmöglichkeiten, die Schülerinnen und Schülern helfen, eine ihren Fähigkeiten entsprechende berufsqualifizierende Ausbildung zu finden, die nach dem Abitur nicht zwangsläufig Studium heißen muss.

Aber ich möchte auch bewusst in diesem Gottesdienst verdeutlichen, dass zusätzliche Zwangsabgaben von Studierenden, egal welchen Alters, nicht der richtige Weg sein können, um Haushaltslücken der Regierung zu stopfen. Diese von der Landesregierung NRW so angedachten Veränderungen führen zu Ungleichbehandlung, bergen die Gefahr der Ungerechtigkeit in sich, degradieren Bildung zum Privileg und stiften sozialen Unfrieden.

Unser Land qualifiziert sich zukünftig nicht durch die Masse unterschiedlicher Prestigeobjekte, sondern durch eine wichtige Botschaft, die da lautet: Berufsqualifizierende Bildung ist dann sozial und gerecht, wenn sie sich auch der Frage nach Verteilungsgerechtigkeit von Wissen an unseren Hochschulen stellt.

Warum aber nun solche Gedanken in einer Ansprache während eines Gottesdienstes?

Eucharistiefeier ist in erster Linie Danksagung an Gott in Jesus Christus; Danksagung für das Geschenk unseres Lebens; Danksagung für unsere Fähigkeiten und Talente; Danksagung für unsere Neugier bezogen auf die Entdeckung und Entfaltung des Reichtum der göttlichen Schöpfung; Danksagung für das Geschenk lernen, forschen, erkennen und gestalten zu dürfen, um so unserer Zukunft ein Gott und dem Menschen würdiges Gesicht zu geben.

Die Verkündigung Jesu Christi, die wir in der Liturgie hören, spüren und feiern, lautet: Ich bin gekommen, damit ihr das Leben habt und es in Fülle habt (Vgl. Joh. 10,10). Leben in Fülle impliziert auch Bildung, eine Qualität unseres Lebens. Dafür sagen wir hier Dank und feiern diesen Dank im Teilen unserer Hoffnung und in der Sorge füreinander.

Schließen möchte ich mit Worten aus dem Alten Testament, dem Buch der Weisheit:

1 “Hört also, ihr Könige, und seid verständig, lernt, ihr Gebieter der ganzen Welt!
12 Strahlend und unvergänglich ist die Weisheit; wer sie liebt, erblickt sie schnell, und wer sie sucht, findet sie.
13 Denen, die nach ihr verlangen, gibt sie sich sogleich zu erkennen.
15 Über sie nachzusinnen ist vollkommene Klugheit; wer ihretwegen wacht, wird schnell von Sorgen frei.
17 Ihr Anfang ist aufrichtiges Verlangen nach Bildung; das eifrige Bemühen um Bildung aber ist Liebe.”

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